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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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konnte buchstäblich keinem Menschen trauen, denn wenn ich einer Arbeitskollegin etwas anvertraut hätte, dann hätte sie es zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt. Man mußte sehr vorsichtig sein. Man mußte immer darauf gefaßt sein, daß andere einem in den Rücken fielen, und es war ja auch verständlich – es war eine Sache auf Leben und Tod.«
    Eines Tages erschien Rumkowski im Büro, um Arbeiter für eine neue Fabrik im Ghetto auszusuchen. Lucille war »entsetzt«, ihn zu sehen, da dieser 66jährige Mann trotz seiner großväterlichen Erscheinung in einem üblen Ruf stand. »Ich hatte Gerüchte gehört. Ich wußte, daß er einen schlechten Charakter hatte. Wenn er wütend wurde, nahm er einen Rohrstock und schlug damit zu. Er war ein absoluter Diktator innerhalb der Grenzen, die von den Deutschen gezogen wurden. Ich glaube, die meisten Menschen hatten Angst vor ihm.« Sie versteckte sich im Korridor und versuchte, nicht bemerkt zu werden, doch ihr Name stand auf einer Liste, und schließlich wurde sie zu Rumkowski bestellt. »Er saß auf einem Stuhl. Er hatte weiße Haare und trug eine dunkle Brille. Er hielt sein Stöckchen in der rechten Hand und wirkte auf mich für einen Augenblick wie ein König auf seinem Thron. Er fragte mich, woher ich käme, welche Sprachen ich spräche, welchen Beruf mein Vater habe, wo sich meine Angehörigen befänden, ob ich noch irgendwelche Angehörigen hätte. Ich beantwortete alle seine Fragen, und zum Abschied sagte er: ›Sie werden von mir hören.‹ Ich habe nicht viel darauf gegeben.«
    Nach dem Besuch bei Rumkowski versetzte Lucilles Vorgesetzter sie in die statistische Abteilung: »Ich weiß nicht, warum sie mich versetzt haben. Vielleicht wollten sie mich verstecken, weil es ein sehr ruhiges, abgeschiedenes Büro war. Doch dann kam ein Anruf von der Sekretärin Rumkowskis – er wollte Lucille sprechen. Als sie in dem Hauptverwaltungsgebäude vorsprach, fand sie dort eine Reihe anderer Frauen ihres Alters, die bereits warteten. Rumkowski gab ihnen allen Arbeit in einer Küche, die er für »verdienstvolle Arbeiter« einrichten wollte. Einige der jungen Frauen sollten als Kellnerinnen arbeiten und andere, wie Lucille, im benachbarten Büro. »Er sagte, er wolle mich anstellen, und ich müsse beispielsweise ausrechnen, wie viele Portionen wir aus 50 Kilogramm rote Bete zubereiten könnten.« Für ihre Tätigkeit in der neuen Küche sollte Lucille täglich eine extra Mahlzeit bekommen. »Das war sehr wertvoll«, sagt sie. »Wie man heute sagen würde, es war ganz ordentlich.« Als sie ihre neue Stelle in der Küche antrat, bekam sie von ihrem Vorgesetzten zum Abschied eine Warnung vor Rumowski mit auf den Weg: »«Ich glaube, er benutzte die Bezeichnung ›Schwein‹ auf polnisch.« Er hatte recht damit. In fast allen Ghettos, die von der SS errichtet wurden, verhielt sich der Vorsitzende des Judenrats verantwortungsvoll, aber nicht in Łódz. Rumkowski war bekannt dafür, daß er Menschen auf die Deportationsliste setzte, weil er sich ihrer entledigen wollte, und er verfolgte noch in anderer Hinsicht seine ganz persönlichen Ziele, wie Lucille bald entdecken sollte.
    Nach wenigen Tagen ihrer Arbeit in der Küche erkannte Lucille, daß dies eines der Lieblingsprojekte Rumkowskis war. Fast jeden Abend schaute er herein, Besuche, die sie zunehmend fürchtete: »Man hörte, wie er mit einer Pferdekutsche vorfuhr. Er kam in die Küche und prüfte mit seinen Blicken die Kellnerinnen, und wenn eine Schürze nicht ordentlich umgebunden war, schlug er sie mit dem Röhrchen. Er sah nach dem Essen, nahm aber nichts davon – das wäre unter seiner Würde gewesen. Und dann kam er in das Büro, und man konnte im Gang bereits seinen ungleichmäßigen Schritt hören, wie ein leichtes Hinken. Und ich war allein im Büro, und er zog einen Stuhl heran, und wir unterhielten uns. Er redete, ich hörte zu, und er wurde zudringlich. Er nahm meine Hand, legte sie auf seinen Penis und sagte: »Mach’s mir«… Ich rutschte von ihm weg und er rutschte mir hinterher, und er flößte mir Angst ein – es war einfach ein Schock für mich. Er wollte, daß ich in eine Privatwohnung ziehe, zu der nur er einen Schlüssel hatte, und ich fing an zu weinen – ich wollte nicht umziehen. Ich konnte nicht verstehen, warum jemand so etwas wollte … Aber Sex im Ghetto war eine sehr wertvolle Ware – mit ihr wurde gehandelt wie mit allem anderen auch.«
    Lucille war auf jeden Fall kein freiwilliger Partner

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