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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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bei diesem »Handel«, aber ihr war auch klar, daß wenn sie Rumkowski abwies, ihr »Leben auf dem Spiel stand«. »Wenn ich weggelaufen wäre, hätte er mich auf die Deportationsliste gesetzt. Daran bestand für mich jedenfalls kein Zweifel.«
    Nach einigen Wochen wurde die Küche geschlossen, und Lucille kam in eine Lederwarenfabrik im Ghetto, wo sie Gürtel für die deutsche Wehrmacht nähen mußte. Sie sah Rumkowski nicht mehr wieder. Zurückgeblieben war der Schaden, den er angerichtet hatte: »Ich fühlte mich angeekelt und wütend und mißbraucht.« 1944 waren Lucille und Rumkowski unter den Juden aus Łódz, die nach Auschwitz deportiert wurden, nachdem die Deutschen das Ghetto endgültig geschlossen hatten. Rumkowski und seine Angehörigen kamen in den Gaskammern von Birkenau um. Lucille wurde nicht sofort in die Gaskammer geschickt, sondern für eine Arbeit selektiert: Durch die deutsche Niederlage im Mai 1945 wurde sie gerettet.
    Es waren fast drei Jahre her, seit Lucille Eichengreen aus Deutschland deportiert worden war, als sie schließlich in Auschwitz ankam. Die ersten Juden aus Ländern außerhalb Polens wurden bereits im Frühjahr 1942 hierher deportiert, und die Geschichte, wie sie in Güterwaggons in das Lager kamen, ist eine der erschütterndsten und erstaunlichsten Episoden in der Geschichte der nationalsozialistischen »Endlösung der Judenfrage«. Sie kamen aus der Slowakei, einem Land, dessen nördliche Grenze weniger als 85 Kilometer von Auschwitz entfernt war. Die Slowakei hatte eine turbulente Geschichte; als unabhängiger Staat existierte sie gerade erst seit drei Jahren und war im März 1939 ins Leben gerufen worden, nachdem Deutschland die benachbarten tschechischen Länder Böhmen und Mähren annektiert hatte. Bis 1939 war die Slowakei ein Teil der Tschechoslowakei, und vor 1918 stand sie unter ungarischer Verwaltung. Staatspräsident der Slowakei war Jozef Tiso, ein katholischer Priester und Führer der von Andrej Hlinka gegründeten ultranationalistischen Slowakischen Volkspartei. Tiso stellte die Slowakei unter den Schutz des Deutschen Reiches, und zwischen den beiden Ländern wurde ein Schutzvertrag geschlossen, der es Deutschland ermöglichte, die slowakische Außenpolitik zu kontrollieren. Die slowakische Regierung ging begeistert gegen die 90 000 Juden im Land vor. In rascher Aufeinanderfolge wurden Verordnungen erlassen, um sich jüdischer Geschäfte zu bemächtigen, eine jüdische Auswanderung voranzutreiben, Juden aus dem öffentlichen Leben auszuschließen und ihnen das Tragen eines gelben Sterns zur Pflicht zu machen. Die Auswirkungen dieser Verfolgung für die jüdische Gemeinschaft in der Slowakei machten sich schnell und brutal bemerkbar.
    »Ich bekam zu spüren, daß ich nicht dazugehörte«, sagt Eva Votavová, damals eine vierzehnjährige Gymnasiastin. 30 »Ich war nicht länger eine ›ehrbare Person‹. Ich mußte die höhere Schule verlassen. Es war den Juden verboten, bestimmte Dinge zu besitzen; so durften wir kein Grundeigentum besitzen. Bevor es dazu kam, hatte ich in einem Dorf gelebt, in dem wir alle gemeinsam aufwuchsen und alle gleich waren.« Ein auffälliges Merkmal der Verfolgung der slowakischen Juden war die Schnelligkeit, mit der Freunde zu Feinden wurden. Es gab keinen allmählichen Übergang. Es war, als hätte man plötzlich einen Schalter angeknipst. »Die deutschen Jungen [die Kinder von »Volksdeutschen« in der Slowakei] begannen sich wie die Nazis zu verhalten«, sagt Otto Pressburger, ein slowakischer Jude, der 1939 15 Jahre alt war. 31 »Davor waren sie unsere Freunde. Es gab keine Unterschiede zwischen uns – jüdische und christliche Jugendliche. Als Kinder haben wir immer zusammen gespielt. Dann wurden die Schilder aufgestellt: ›Für Juden und Hunde verboten‹. Wir konnten nicht den Bürgersteig benutzen. Es war furchtbar. Ich durfte in keine Schule gehen, in kein Kino und zu keinem Fußballspiel. Ich mußte daheim bei meinen Eltern sitzen; früher war ich mit meinen Freunden draußen im Freien.« Für Otto Pressburger war offensichtlich, daß das Hauptmotiv hinter der veränderten Einstellung gegenüber den Juden die Gier war. »Es gab Plakate an den Mauern, die von deutschen Zeitungen übernommen waren und einen Juden mit großer Nase und einem Geldsack über der Schulter zeigten. Auf einem anderen sah man einen Hlinka-Gardisten, der ihm in den Hintern trat, so daß das Geld aus dem Sack herausfiel. Die Stadt war voll von solchen

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