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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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geschickt worden waren – eine Nachricht, die bei ihnen kein Mitgefühl auslöste: »Es tat mir leid für sie, andererseits aber auch wieder nicht, wenn ich daran dachte, daß sie die Slowaken bestohlen hatten. Es tat uns nicht besonders leid. Wir glaubten, es sei gut so, daß man sie weggebracht hatte. Auf diese Weise konnten sie uns nicht mehr betrügen. Sie konnten sich nicht mehr auf Kosten der Arbeiterklasse bereichern.«
    Kabáč hatte kaum direkten Kontakt zu slowakischen Juden gehabt, bevor er von dem Schicksal erfuhr, das die Deutschen ihnen zugedacht hatten. In seinem Dorf wohnten keine Juden, und er räumt ein, daß er selbst mit den Juden in der Slowakei nie »ein Problem« gehabt hatte. Sein vehementer Antisemitismus beruhte nicht auf persönlichen Erfahrungen mit Juden, sondern auf seinem glühenden Nationalismus: Er war stolz darauf, daß die Slowakei jetzt ein unabhängiges Land war, und die slowakische Führung sagte ihm, »die Juden seien Lügner und beraubten die Slowaken«. Seine Geschichte ist ein erhellendes Beispiel dafür, wie schnell ein Vorurteil Wurzeln schlagen kann, wenn es als Bestandteil eines Ensembles von Werten hingestellt wird, die in ihrer Mehrzahl eine unmittelbarere Anziehungskraft ausüben. Michal Kabáč übernahm den gewalttätigen Antisemitismus, um zu beweisen, daß er ein begeisterter slowakischer Nationalist war, und dabei profitierte er auch finanziell davon, da er jetzt die Juden bestehlen und das Verbrechen als eine Art »rechtmäßige Vergeltung« beschönigen konnte. Silvia Veselá erlebte aus eigener Anschauung, wie schnell sich die herrschende Moral in der Slowakei änderte: »Ich habe immer wieder darüber nachgedacht. Das menschliche Material ist sehr biegsam. Man kann alles damit machen. Wenn es um Geld und Leben geht, begegnen Sie nur selten einem Menschen, der bereit ist, sich für Sie zu opfern. Es tat weh, richtig weh, als ich beispielsweise sah, wie meine Schulkameradin die Faust hob und mir zuschrie: ›Es geschieht dir recht!‹ Seitdem erwarte ich nichts mehr von den Menschen.«
    Inzwischen gingen in Auschwitz die Bemühungen weiter, die Vernichtungsanlage des Lagers zu verbessern. Am 27. Februar fand eine Besprechung zwischen Rudolf Höß, dem SS-Architekten Karl Bischoff und Hans Kammler, dem Chef des Amts II im SS-Hauptamt Haushalt und Bauten, statt, in deren Verlauf beschlossen wurde, das für Auschwitz I geplante Krematorium in das neue Lager Birkenau zu verlegen. 35 Die Absicht war, das neue Krematorium in der Nordwestecke des Lagergeländes in der Nähe eines verlassenen Bauernhäuschens zu errichten. Das Innere des Häuschens sollte möglichst schnell mit zwei Gaskammern ausgerüstet werden, indem man die vorhandenen Türen und Fenster vermauerte, das Innere entkernte und zwei abgeschlossene Räume schuf. Neue Eingänge sollten direkt in die Gaskammern führen, und oben in den Außenwänden waren verschließbare Öffnungen vorgesehen, durch die man das Zyklon B in Granulatform einwerfen konnte. Das Bauernhaus, bekannt unter der Bezeichnung »das rote Häuschen« oder »Bunker 1«, wurde erstmals Ende März zur Vernichtung von Menschen eingesetzt, als ein Transport mit Juden aus der Umgebung des Lagers eintraf, die man für das Zwangsarbeitsprogramm als ungeeignet befunden hatte. In dem »roten Häuschen« konnten jeweils etwa 800 Personen gleichzeitig vergast werden, die dichtgedrängt in den beiden Kammern standen.
    Höß hatte jetzt eine Tötungsanlage zur Verfügung, die nicht mit den Nachteilen des Krematoriums im Stammlager behaftet war. Jetzt mochten die zum Tod Verurteilten in den Gaskammern noch so laut schreien, der normale Betriebsablauf des Lagers wurde dadurch nicht gestört. Doch Höß wußte, daß es viele Monate dauern würde (tatsächlich länger als ein Jahr), bis in der Nähe ein Krematorium gebaut werden könnte, um die Leichen der Vergasten zu beseitigen. Nachdem eines seiner Probleme gelöst war (die möglichst unauffällige Ermordung der Opfer), trat nun ein neues Problem auf (die Beseitigung der Spuren).
    Die Juden der ersten Transporte, die im März 1942 aus der Slowakei eintrafen, wurden bei ihrer Ankunft nicht selektiert – alle wurden im Lager aufgenommen. Doch das hinderte die SS und die Kapos nicht daran, die Neuankömmlinge sogleich zu terrorisieren, wie Otto Pressburger, der sich in einem dieser Transporte befand, gleich zu spüren bekam: »Von der Bahnstation aus mußten wir in Fünfergruppen im Laufschritt [zum

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