Auschwitz
Mann in dem Transport war. Er antwortete in fließendem Deutsch: ›Ich bin Arzt, und ich wurde von der zentralen jüdischen Konferenz für den Transport abgestellt. Meine Aufgabe war es, den Transport zu begleiten, und man hat mir gesagt, anschließend sollte ich in die Slowakei zurückfahren.‹ Darauf zog ein SS-Mann eine Pistole und schoß ihn nieder. Sie erschossen ihn einfach vor meinen Augen. Nur weil er der einzige Mann unter so vielen Frauen war. Das war der erste Schock für mich.«
Anschließend mußten die Frauen unter SS-Begleitung in das Stammlager Auschwitz marschieren. »Wir sahen hohe Baracken und ein Tor«, sagt Silvia Veselá. »Über dem Tor stand eine Inschrift ›ARBEIT MACHT FREI‹. Deshalb dachten wir, hier müßten wir arbeiten.« Einige der Blöcke im Stammlager waren geräumt und für die Frauen vorbereitet worden, denen man befahl, sich auszuziehen und alle Wertsachen auszuhändigen, die sie nicht schon zuvor abgegeben hatten. »Obwohl die Deutschen uns so haßten, hatten sie keine Hemmungen, unsere Kleider, Schuhe und Schmucksachen zu nehmen. Können Sie mir das erklären? Ich habe mich das immer wieder gefragt – warum empfanden sie keine Abneigung gegen unsere Sachen?«
Als die Slowakinnen dasaßen, nackt und mit dann kahlgeschorenen Köpfen, betrat ein SS-Führer den Raum und wies fünf von ihnen an, in ein Arztzimmer zu gehen. »Sie wollten jüdische Frauen untersuchen«, sagt Solvia Veselá, »und sehen, ob sie wirkliche Jungfrauen waren. Sie wollten auch wissen, ob Jüdinnen reinlich sind. Nachdem sie ihre Untersuchungen beendet hatten, waren die Ärzte überrascht. Sie wollten es nicht glauben, daß wir uns so sauberhalten. Außerdem waren über 90 Prozent von uns noch Jungfrauen. Es waren alles religiöse Jüdinnen. Sie hätten niemals einem Mann erlaubt, sie vor der Hochzeit zu berühren. Doch im Verlauf der Untersuchung wurden alle Frauen ihrer Jungfräulichkeit beraubt – die Ärzte nahmen ihre Finger. Sie wurden alle defloriert – eine weitere Form der Demütigung. Eine meiner Freundinnen, die aus einer religiösen Familie kam, sagte zu mir: ›Ich wollte meine Jungfräulichkeit für meinen Mann bewahren, und jetzt habe ich sie auf diese Weise verloren!‹«
So furchtbar die Erlebnisse von Otto Pressburger und Silvia Veselá während ihrer ersten Stunden im Lager waren, es war doch nicht die Behandlung der Ankömmlinge an der »Rampe«, für die Auschwitz später so berüchtigt werden sollte. Denn eine der schändlichsten Prozeduren im Zusammenhang mit Auschwitz sollte jetzt erst eingeführt werden – die Selektion gleich nach der Ankunft. Das war die zweite der beiden wichtigen Änderungen des Lagers, die sich aus der Ankunft der slowakischen Juden ergab. Eine periodische Selektion einiger ankommender Transporte hatte bereits zum Ende April begonnen, doch die systematische Selektion begann erst am 4. Juli 1942, als ein Transport aus der Slowakei eintraf, dessen Ankömmlinge von der SS sogleich danach taxiert wurden, ob sie arbeitstauglich waren und ins Lager kamen oder arbeitsuntauglich und für die sofortige Vergasung bestimmt waren. Zwei Jahre, nachdem das Lager die ersten Häftlinge aufgenommen hatte, hatte die Lagerleitung mit dem regelmäßigen Selektionsverfahren sofort nach der Ankunft der Transporte begonnen, das den seelenlosen Terror dieses Orts symbolisieren sollte.
Eva Votavová fuhr gemeinsam mit ihrem Vater und ihrer Mutter in einem der ersten Transporte, bei dem sofort nach der Ankunft selektiert wurde. In dieser Gruppe von slowakischen Deportierten befanden sich alte Menschen ebenso wie Kinder und Menschen wie Eva, die jung und kräftig waren: »Wir kamen am Bahnhof Auschwitz an und mußten uns in Fünferreihen aufstellen. Die quälenden Szenen begannen. Sie trennten die Jungen von den Alten und den Kindern. Sie trennten meinen Vater von meiner Mutter und mir selbst. Von dem Augenblick an hörte ich nichts mehr von meinem Vater. Als ich ihn zum letzten Mal sah, wirkte er bekümmert, traurig und hoffnungslos.«
Inzwischen, einige Wochen nach der Fertigstellung des »roten Häuschens«, war ein weiteres Bauernhaus in einigen hundert Metern Entfernung, das »weiße Häuschen« oder »Bunker 2«, zu einer provisorischen Mordanlage mit einem Fassungsvermögen von 1200 Personen umgebaut worden. Im Bunker 2 wurden vier kleine Räume zu vier Gaskammern umgebaut. Das ermöglichte eine bessere Lüftung als in Bunker 1 (das »rote Häuschen«), so daß das
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