Auschwitz
Unruheverbreiter unauffällig hinter das Haus geführt und dort mit dem Kleinkalibergewehr getötet, das war von den anderen nicht zu vernehmen.« 37
Die Konzentrierung der Massentötungen in einer abgelegenen Ecke des Lagers Birkenau bedeutete, daß der Tagesablauf im Stammlager nicht mehr durch die Morde unterbrochen wurde. Und während das Leben für die Häftlinge im Stammlager in seiner ganzen Härte weiterging, wurde es für die SS-Besatzung zu einem Ort, an dem man sich nach des Tages Arbeit mit einem gewissen Komfort entspannen konnte, wie Tadeusz Rybacki, der von der Gestapo unter dem Verdacht verhaftet worden war, dem polnischen Widerstand anzugehören, entdeckte. 38
Nachdem er einige Monate lang verschiedenen Arbeitskommandos zugeteilt worden war, erlangte Rybacki schließlich einen der begehrtesten Arbeitsplätze im Stammlager Auschwitz – die Tätigkeit als Kellner in der SS-Kantine. Nachdem gleichzeitig mit den slowakischen Jüdinnen im Frühjahr 1942 der SS unterstellte Aufseherinnen nach Auschwitz gekommen waren, erlebte er mehrere feuchtfröhliche Abende in der Kantine. »Es war ein Gangsterfestessen« sagt er in Erinnerung an einen bestimmten Abend. »Die Anwesenden sangen, lachten, schlugen sich gegenseitig auf die Schulter und tranken Alkohol in jeder Form. Ich habe ihnen Wein eingeschenkt, und da war eine der SS-Frauen, die mich am Arm faßte, als ich ihr gerade Wein einschenken wollte. Sie sagte zu mir: ›Liebling …‹, und alle blickten plötzlich in meine Richtung. Die Situation war für mich sehr heikel, und fast hätte ich den Wein verschüttet, doch zum Glück rief ein SS-Mann zu ihr hinüber: ›Halt die Schnauze, du Hure‹, und sie ließ los.« Später an diesem Abend machte eine dieser Aufseherinnen ihm und seinen Kollegen Avancen. »Eine betrunkene, große Frau ging schwankend an uns vorbei, höchstwahrscheinlich zur Toilette, und als sie uns sah, machte sie einige herausfordernde Gebärden. Unsere Gesichter waren wie versteinert, und wir flüsterten uns zu: ›Was will sie, diese Schlampe?‹«
Der Gegensatz zwischen dem Lotterleben der SS und der grausamen Existenz der Häftlinge konnte ihm nicht entgehen: »Nur die Häftlinge mußten Hungers sterben. Der Aufenthalt im Lager war eine Hinrichtung auf Raten, indem die Häftlinge Hunger, Mißhandlungen und schwerer Arbeit ausgesetzt wurden. Doch sie [die SS-Männer] hatten alles. Dort auf dem Fest gab es alles, es gab die verschiedensten Sorten Alkohol, selbst französischen Cognac, und es fehlte an nichts. Es wirkte alles so gräßlich wie ein satanisches Fest. Sie können sich nicht vorstellen, was für ein schauerliches Bild das war.«
Trotz alledem war Rybacki sich bewußt, was für ein Glück er hatte, als Kellner in der Kantine arbeiten zu können. Es war nicht nur eine Arbeit »unter einem Dach« – was ganz wesentlich war, wenn er den Winter überleben sollte –, sondern brachte ihn auch in unmittelbaren Kontakt mit der wichtigsten Ware im Lager: Lebensmittel. Er und die übrigen Häftlinge, die als Kellner arbeiteten, stahlen alles an Lebensmitteln, was ihnen in die Hände fiel, und versteckten es im Dachboden des Gebäudes. Doch mit ihren Aktivitäten gingen sie auch ein hohes Risiko ein. Eines Abends standen mehrere SS-Männer am Büfett, das an die Kantine angrenzte, als Pressburger und seine Kameraden ein lautes Geräusch hörten. Sie blickten zurück in die Kantine, und bei dem Anblick, der sich ihnen bot, »standen uns die Haare zu Berge«. »Wir sahen, wie zwei Beine und ein Unterleib durch die Decke kamen.« Sie wußten sofort, was passiert sein mußte. Einer der Kellner war gerade dabei gewesen, gestohlene Lebensmittel auf dem Dachboden zu verstekken, und hatte einen falschen Tritt getan. »Da oben mußte man aufpassen, daß man nicht neben die Balken trat, sonst brach man durch die dünne Decke dazwischen.« Es war für sie alle eine extrem bedrohliche Situation. Doch zum Glück tranken die SS-Männer nebenan so viel und lärmten so laut, daß keiner von ihnen sich umdrehte, um zu sehen, was los war. Der Häftling auf dem Dachboden konnte sich aus seiner Notlage selbst befreien, und die heruntergefallenen Brocken wurden weggekehrt. Das änderte allerdings nichts an dem Loch in der Decke. Als Häftlinge am nächsten Morgen wieder zur Arbeit gingen, bestachen sie einfach eine der SS-Wachen mit Butter und Wurst, damit er keine unnötigen Fragen stellte. Zwei Tage später war das Loch wieder
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