Auschwitz
tödliche Gas nach der Vergasung schneller in die Luft entweichen und die »Sonderkommandos« die Leichen schneller aus den Gaskammern herausholen und abtransportieren konnten – ein weiteres Beispiel für die kontinuierlichen Initiativen, die von der Lagerleitung ergriffen wurden, um den Mordprozeß »effizienter« zu machen.
Otto Pressburger sah die Neuankömmlinge aus der Slowakei, die man für den Tod aussortiert hatte, außerhalb der Bauernhäuschen warten: »Meistens setzten sie sich davor auf den Boden. Wahrscheinlich aßen sie etwas, das sie von zu Hause mitgebracht hatten. Um sie herum standen SSMänner mit Hunden. Sie [die Opfer] ahnten natürlich nicht, was ihnen bevorstand. Wir wollten es ihnen auch nicht sagen. Es hätte für sie alles nur noch schlimmer gemacht. Wir stellten uns vor, daß die Männer, die diese Menschen hierhergebracht hatten, keine Menschen waren, sondern irgendwelche wilden Bestien aus dem Urwald.« Nach Aussage von Otto Pressburger fanden während dieser Zeit die Vergasungen stets in der Nacht statt: »Sie haben es nie am Tag gemacht; [weil] die Menschen wahrscheinlich geschrien oder versucht hätten, ins Freie zu gelangen. Wir sahen nur die Leichen am nächsten Morgen, die neben den Gruben aufgestapelt lagen.«
Pressburger wurde gezwungen, in einem der »Sonderkommandos« zu arbeiten, deren Aufgabe es war, die Leichen aus den Gaskammern zu beerdigen. »Menschen mit Gas zu töten ist sehr einfach. Man muß nur Türen und Fenster fest verschließen, damit das Gas nicht entweichen kann. Sie verriegelten die Türen, und innerhalb weniger Minuten waren alle tot. Sie [die SS-Männer] brachten sie [die Leichen] zu den Gruben, wo ich arbeitete. Wir haben sie immer am nächsten Morgen begraben. Wir schütteten etwas Kalkmehl und Erde darüber. Gerade so viel, daß man sie nicht mehr sehen konnte.« Es war eine unzureichende Methode zur Beseitigung der Leichen, und mit der Ankunft der heißen Sommermonate gingen die Leichen in Fäulnis über. Pressburgers Arbeit, ohnehin bereits ein schauriger Alptraum, wurde noch entsetzlicher: »Die Körper der Toten wurden wieder lebendig. Sie verfaulten und kamen aus den Gruben heraus. Überall war Blut und Schmutz, und wir mußten sie mit bloßen Händen herausholen. Sie sahen nicht mehr wie Leichen aus. Es war eine einzige faulige Masse. Wir mußten [mit einer Schaufel] in die Masse hineinstechen, und manchmal holten wir einen Kopf heraus, dann wieder eine Hand oder ein Bein. Der Gestank war unerträglich. Ich hatte keine andere Wahl, wenn ich leben wollte. Sonst hätten sie mich umgebracht. Ich wollte leben. Manchmal habe ich mich gefragt, ob dieses Leben lebenswert war.« Nachdem die Leichen wieder ausgegraben waren, befahl die SS den Häftlingen, sie in riesige brennende Gruben zu werfen. Die Lagerleitung war auf diese improvisierte Lösung des Problems verfallen, um die Zeit bis zur Fertigstellung des Krematoriums in der Nähe zu überbrükken. »Wir errichteten einen großen Scheiterhaufen«, sagt Pressburger, »aus Holz und Benzin. Wir warfen sie [die Leichen] einfach hinein. Immer standen zwei von uns da und warfen die Leichen hinein – der eine packte sie bei den Beinen und der andere an den Armen. Der Gestank war entsetzlich. Die SS-Männer tranken den ganzen Tag Wodka oder Cognac oder etwas anderes aus der Flasche. Anders hätten sie es nicht ausgehalten.«
Während er sich dazu zwang, die grauenhafte Arbeit fortzusetzen und die Leichen wieder auszugraben und zu verbrennen, mußte Pressburger auch mit einem seelischen Trauma fertig werden – dem Tod seines Vaters. Die Häftlinge hatten nach ihrer Ankunft bis zum nächsten Tag nichts zu essen und zu trinken bekommen, und sein Vater hatte Regenwasser aus einer der Pfützen getrunken, eine verbreitete Ursache von Krankheit und Tod. »Der Arzt, der mich als Kind behandelt hatte, war ebenfalls in Auschwitz«, sagt Pressburger. »Er riet mir, auf keinen Fall dieses Wasser [aus den Pfützen] zu trinken. Sonst würde ich innerhalb von 24 Stunden sterben. Die Menschen bekamen alle geschwollene Beine, wenn sie es dennoch taten. Das Wasser trat aus ihren Beinen aus.« Doch sein Vater war nicht so selbstbeherrscht, trank das Wasser und starb. Nach der anfänglichen Erschütterung und der Trauer über den Verlust erkannte Pressburger, daß er nur dann überleben würde, wenn er sich bemühte, nichts von dem an sich heranzulassen, was von außen kam – auch den Tod seines Vaters nicht. »Je länger
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