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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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sorgte dafür, daß Rózinka gemeinsam mit Helena in »Kanada« arbeiten konnte. »Meine Schwester begriff nicht, wo sie war«, sagt Helena. »Man erzählte ihr, daß sie arbeiten müßte und daß ihre Kinder im Kindergarten wären – dieselbe Geschichte, die man uns allen aufgetischt hatte. Sie fragte mich: ›Wo sind die Kinder?‹ Und ich sagte ihr: ›Hinter diesen Gebäuden gibt es ein Kinderheim.« Und dann wollte sie wissen: ›Kann ich sie besuchen?‹ Und ich antwortete: ›Nur an bestimmten Tagen.‹
    Als die anderen Frauen in »Kanada« sahen, wie sehr Helena die ständigen Fragen ihrer Schwester quälten, herrschten sie Rózinka eines Tages an: »Hör endlich auf damit! Die Kinder sind tot. Siehst du das Feuer? Da verbrennen sie die Kinder!« Rózinka fiel in einen Schockzustand. Sie wurde völlig apathisch und »wollte nicht mehr leben«. Ohne Helenas Beistand und Fürsorge hätte sie die nächsten Monate nicht überlebt.
    So verzweifelt Rózinka auch über die grauenvolle Erkenntnis war, daß man ihre Kinder getötet hatte, so konnte sie sich dennoch glücklich schätzen: Sie war am Leben geblieben. Und unter der Obhut ihrer Schwester sollte sie auch den Krieg überleben. Die anderen Frauen in »Kanada« begegneten den beiden mit gemischten Gefühlen. »Meine Schwester lebte, und ihre Schwestern waren tot«, erzählt Helena. »Rózinka kam ins Lager, und er [Wunsch] rettete ihr das Leben. Warum hatten sie nicht so ein Wunder erlebt, sie, die alles verloren hatten – Brüder, Eltern, Schwestern? Selbst die Frauen, die sich mit mir freuten, freuten sich nicht wirklich. Ich konnte mich meinen Freundinnen nicht anvertrauen. Ich hatte Angst vor ihnen. Sie waren alle neidisch – sie beneideten mich. Eine von ihnen, eine sehr schöne Frau, sagte einmal zu mir: ›Wenn Wunsch mich zuerst gesehen hätte, hätte er sich in mich verliebt, nicht in dich.‹«
    Nachdem Franz Wunsch ihrer Schwester das Leben gerettet hatte, änderten sich Helenas Gefühle für ihn von Grund auf: »Irgendwann liebte ich ihn wirklich. Er riskierte mehr als einmal sein Leben [für mich].« Doch es kam nie zu einer intimen Begegnung zwischen ihnen – was man von anderen Liebespaaren in Auschwitz allerdings nicht behaupten konnte: »Die jüdischen [männlichen] Häftlinge verliebten sich während der Arbeit in alle möglichen Frauen. Ab und zu verschwanden sie in die Baracken, in denen die Kleider zusammengelegt wurden, und schliefen miteinander. Sie hatten immer jemanden, der Schmiere stand und sie warnte, wenn die SS vorbeikam. Bei mir ging das nicht, weil er [Wunsch] selber zur SS gehörte.« Und so beschränkten sich ihre Liebesbezeugungen auf verstohlene Blicke, hastige Worte und heimliche Briefchen: »Er sah sich nach beiden Seiten um, und wenn er sicher war, daß niemand zuhörte, flüsterte er: ›Ich liebe dich.‹ Das tat mir gut in dieser Hölle. Es machte mir Mut. Auch wenn es nur Worte waren, auch wenn es nur eine verrückte Liebe war, die nicht die geringste Chance hatte. Es war unmöglich, Pläne für die Zukunft zu machen. Es war völlig unrealistisch. Aber es gab Momente, da vergaß ich, daß ich Jüdin war und er kein Jude. Wirklich. Ich liebte ihn. Aber es konnte einfach nicht sein. Dort war alles möglich, Liebe und Tod – aber meistens Tod.« Doch da irgendwann »ganz Auschwitz« über sie Bescheid wußte, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie jemand »verpfiff«, wie Helena es ausdrückte. Ob es ein Häftling oder ein SS-Mann war, kam nie heraus.
    Als sie eines Tages nach der Arbeit zum Lager zurückgeführt wurden, befahl ihr ein Kapo, vorzutreten. Sie wurde zum Strafbunker in Block 11 gebracht. »Jeden Tag holten sie mich und drohten mir, mich auf der Stelle zu töten, wenn ich ihnen nicht erzählte, was zwischen mir und diesem SS-Mann vorgefallen wäre. Ich beteuerte immer wieder, daß zwischen uns nichts passiert war.« Franz Wunsch war zur gleichen Zeit verhaftet und ebenfalls vernommen worden. Auch er hatte jede Beziehung zwischen ihnen abgestritten. Nachdem man die beiden fünf Tage lang verhört hatte, ließ man sie wieder frei. Zur »Strafe« wurde Helena von den anderen Sortiererinnen getrennt und mußte in einem abgeteilten Bereich der Baracke arbeiten. Franz Wunsch mußte nun in seinem Umgang mit Helena äußerste Vorsicht walten lassen. Wie wir jedoch in Kapitel 6 sehen werden, hielt er weiterhin seine schützende Hand über Helena und ihre Schwester, bis der Alptraum Auschwitz vorüber war.
    Die

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