Auschwitz
Bis mir der betreffende Spindinhaber errötend – tatsächlich, das gab es – dann gestand, daß man sich das besorge zur Auffrischung der eigenen sexuellen Potenz.« 19
Was die SS-Führung möglicherweise noch mehr beunruhigte, war die Tatsache, daß Morgen nicht nur Fälle von Diebstahl, Unterschlagung und Bestechlichkeit aufdeckte, sondern auch auf Hinweise für sexuelle Vergehen stieß. Am schockierendsten war wohl die Nachricht, daß sogar Lagerkommandant Rudolf Höß eines solchen Vergehens bezichtigt wurde. Morgen war ein hartnäckiger Ermittler und ging den Beschuldigungen gegen Höß über ein Jahr lang nach. Im Oktober 1944 vernahm er in einem Gefängniskrankenhaus in München eine Zeugin: die ehemalige Auschwitz-Gefangene Eleonore Hodys.
Die Österreicherin war im März 1942 mit den ersten Frauentransporten nach Auschwitz gebracht worden. Da sie eine politische Gefangene war und als »Reichsdeutsche« eingestuft wurde, räumte man ihr von Anfang an eine privilegierte Stellung im Lager ein. Höß stellte sie als Dienstmädchen an. Im Mai 1942, als seine Frau einmal nicht zu Hause war, näherte sich der Hausherr Hodys und versuchte sie zu küssen. Erschrocken lief sie fort und schloß sich in der Toilette ein. Als sich Höß einige Woche später im Krankenhaus von einem Reitunfall erholte, berichtete Hodys weiter, bestellte Frau Höß sie zu sich, um ihr mitzuteilen, daß sie entlassen sei. Es ist durchaus möglich, daß Frau Höß Verdacht geschöpft hatte und verhindern wollte, daß ihr Mann mit Hodys anbändelte. Kurz darauf wurde Hodys inhaftiert; allerdings wurde sie nicht in Block 11 untergebracht, sondern in einem Sondergefängnis im Keller der Lagerhauptverwaltung, das hauptsächlich für SS-Soldaten bestimmt war, die sich schwerer Vergehen schuldig gemacht hatten. Es war merkwürdig, daß man einen gewöhnlichen Lagerhäftling dort unterbrachte. Doch Hodys war kein gewöhnlicher Lagerhäftling; man hatte sie aus einem ganz bestimmten Grund in das SS-Gefängnis überstellt.
Eines Morgens, so erzählte sie Morgen, sei Höß plötzlich in ihre Zelle gekommen, als sie noch schlief. Er habe sie zur Ruhe ermahnt, sich auf das Bett gesetzt und schließlich versucht, sie zu küssen. Nach ihrer Weigerung habe er gefragt, warum sie sich so ziere. Schließlich sei er gegangen. 20 Nach längerer Befragung gestand Hodys schließlich, daß Höß noch mehrere Male nachts in ihre Zelle gekommen sei und daß sie schließlich auch Verkehr gehabt hätten. Um die SS-Wachen zu umgehen, war Höß nicht wie üblich von seinem Büro aus in das Gefängnis hinuntergegangen, sondern hatte einen »Schleichweg« durch seinen Garten und einen unterirdischen Luftschutzraum genommen, der direkt an den Keller angrenzte. Nachdem Hodys Widerstand gebrochen war, hatte Höß mehrmals mit ihr geschlafen. Hodys erzählte sogar, daß einmal mitten in der Nacht ein Alarm losgegangen und der Kommandant nackt aus dem Bett gesprungen sei, um sich in einer Ecke der Zelle zu verstecken.
Nach einigen Wochen wurde Hodys in Block 11 verlegt. Dort machte sie eine schlimme Entdeckung: Sie war schwanger. Sie berichtete, daß Höß sie gezwungen habe, eine schriftliche Erklärung zu unterschreiben, in der sie bekannte, mit einem anderen Lagerhäftling geschlafen zu haben. Sie unternahm einen Abbruchversuch, der jedoch miß-lang. Nachdem man sie einige Monate später ins Frauenlager in Birkenau entlassen hatte, gelang es ihr schließlich, »etwas« zu organisieren, um den Fötus abzutreiben.
Die Tatsache, daß Hodys die einzige Zeugin für die von ihr geschilderten Vorfälle ist, stellt zweifellos ein Problem dar. Doch Morgan schien ihr geglaubt zu haben, und er war schließlich ein erfahrener Jurist. Zudem hätte Hodys keinen wirklichen Vorteil aus einer erfundenen Affäre mit Höß ziehen können, vor allem, da sie zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung bereits aus Auschwitz entlassen worden war. Höß bekannte sich nie zu seinem Verhältnis mit Hodys, doch seine widersprüchlichen Aussagen über seine Ehe sprechen nicht unbedingt für ihn. Bei seiner Vernehmung durch den amerikanischen Gerichtspsychologen Dr. Gilbert in Nürnberg gestand er, daß er und seine Frau kaum noch miteinander geschlafen hätten, nachdem sie erfahren hatte, worin seine Arbeit in Auschwitz bestand. In seinen Lebenserinnerungen jedoch schwärmt er in höchsten Tönen von seiner Ehe und spricht von seiner Frau als der Partnerin, die er sich immer »erträumt« habe.
Morgens
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