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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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deutschen »Rassenlehre« stellten die Lagerinsassen eine Gefahr für die Volksgesundheit dar, weshalb sexuelle Beziehungen zwischen SS-Angehörigen und Häftlingen ausdrücklich verboten waren. Wer gegen dieses Verbot verstieß, beging »Rassenschande«. Tatsächlich bestand einer der Unterschiede zwischen den Greueltaten der Nationalsozialisten und vielen anderen Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert in der klaren Ablehnung sexueller Gewalt – nicht aus Menschlichkeit, sondern aus ideologischen Gründen. Sexuelle Gewalt gegen die Frau des »Feindes« war in vielen Kriegen an der Tagesordnung gewesen: Man denke nur an das türkische Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg, den japanischen Eroberungskrieg in China Anfang der dreißiger Jahre oder den serbischen Angriffskrieg gegen Bosnien in den neunziger Jahren. Die bosnischen Vergewaltigungslager, die Verschleppung christlicher Armenierinnen in Harems und die chinesischen Zwangsprostituierten in der japanischen Armee sind nur einige von zahlreichen Beispielen für männliche sexuelle Gewalt. Doch für die Nationalsozialisten war der Konflikt im Osten eine besondere Art von Krieg. Während es auf den Kanalinseln oder in Frankreich durchaus vorkam, daß deutsche Soldaten Beziehungen zu einheimischen Frauen unterhielten, sahen die Deutschen in der jüdischen und slawischen Bevölkerung im Osten eine Bedrohung ihrer »Rassereinheit«. Die nationalsozialistische Propaganda erklärte es zu einer der höchsten Pflichten jedes Soldaten, die »Reinheit des deutschen Bluts« zu erhalten. Slawinnen und Jüdinnen (besonders Letztere) waren daher absolut tabu. Man hatte sogar vor dem Krieg ein Gesetz erlassen, daß die Ehe zwischen Juden und Nichtjuden untersagte.
    All dies bedeutete, daß es in Auschwitz keine sexuelle Beziehungen zwischen Angehörigen der SS und jüdischen Häftlingen hätte geben dürfen. Während es eine heilige ideologische Pflicht war, Jüdinnen zu töten, war es ein Verbrechen, mit ihnen zu schlafen. Allerdings räumt Oskar Gröning ein: »Wenn die privaten Interessen stärker sind als die Einstellung gegenüber dem jüdischen Volk in seiner Gesamtheit – na, dann kann so etwas schon passieren. Wenn man tagtäglich 20 junge Frauen beaufsichtigt und für eine von ihnen eine besondere Sympathie hat, eine, die einem den Kaffee kocht und so etwas, dann sind diese Dinge, diese Propagandageschichten nicht mehr wichtig …« Und so wunderte es Gröning nicht, daß SS-Angehörige, die weibliche Gefangene beaufsichtigten, mit diesen Zärtlichkeiten austauschten »oder sie zum Geschlechtsverkehr zwangen.«
    Für SS-Männer, die bereit waren, ihre ideologischen Überzeugungen über Bord zu werfen, um sich ihre sexuelle Befriedigung gewaltsam zu holen, war »Kanada« das ideale Terrain. Die meisten Frauen in Auschwitz hatten kahlrasierte Schädel, waren unterernährt und anfällig für Krankheiten. Dagegen waren die Arbeiterinnen in »Kanada« dank der Lebensmittel, die sie unter den fremden Besitztümern fanden, nicht nur relativ gut genährt, sondern sie durften sich auch die Haare wachsen lassen. Hinzu kam, daß die SS-Männer in den Sortierbaracken ein und aus gingen, nicht nur, um sie zu beaufsichtigen, sondern auch um Wertsachen zu stehlen. Daher waren Vergewaltigungen in »Kanada« keine Seltenheit, wie Linda Breder bestätigt: »Als wir nach ›Kanada‹ kamen, gab es dort kein fließendes Wasser. Aber dann ließ der zuständige SS-Führer von ›Kanada‹ hinter dem Gebäude Duschen bauen. Obwohl das Wasser eiskalt war, konnte ich mich nun regelmäßig waschen. Einmal ging ein Mädchen aus Bratislava duschen. Sie war eine hübsche Frau, kein bißchen mager. Und dann kam ein SS-Führer und mißbrauchte sie in der Dusche – er vergewaltigte sie.« Der SS-Mann wurde nicht bestraft, sondern lediglich aus »Kanada« versetzt. Ein weiterer SS-Mann, von dem man wußte, daß er mit jüdischen Gefangenen Sex gehabt hatte, wurde ebenfalls sehr milde behandelt: Gerhard Palitzsch 16 , Rapportoffizier in Birkenau, wurde zunächst verhaftet, aber höchstwahrscheinlich dank seiner guten Beziehungen zu Höß nicht bestraft, sondern lediglich in ein Nebenlager versetzt.
    Es kam auch zu Vergewaltigungen in einem Bereich Birkenaus, in dem die Frauen ihre eigene Kleidung tragen durften und sich den Kopf nicht rasieren lassen mußten. Es war das sogenannte Familienlager, ein abgetrenntes, eingezäuntes Areal, in dem seit September 1943 Juden aus dem Ghetto

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