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Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Titel: Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Scheffler
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niemanden zum Kuscheln haben. Und im Puff können sie dann für Geld mit jemandem ganz Fremden kuscheln. Besser als nix.« Svenja kommt aus dem Wintergarten. »Kuscheln? Olli Geissen sagt da immer poppen zu.« Omma ist einer Ohnmacht nahe.
    Ich gehe erst mal vors Haus eine rauchen. Daniel kommt mit. Wenn er mich jetzt nach einer Zigarette fragen würde, ich würde ihm sagen, dass das gar nicht gesund ist und er solle mich doch mal angucken, ob er so werden möchte wie ich, mal ganz im Ernst; wenn er dann sagen würde, ja, will ich; vielleicht würde ich ihm eine geben; als Abschreckung, wenn er dann so richtig husten muss. Aber er fragt nicht. Mein Bruder und meine Schwägerin machen das schon richtig. Mit der Erziehung. Aber ich? – Ich kann das nicht.

Alles ist eitel
    Ich soll etwas erzählen? – Also gut, ich werde etwas erzählen. Auch wenn ich nicht umhin kann vorauszuschicken, dass die nun folgende Geschichte dem einen oder anderen zunächst recht belanglos erscheinen mag, womöglich sogar unglaubwürdig oder zumindest merkwürdig. Ich will aber jedem versichern, dass die geschilderten Vorkommnisse vollkommen der Wahrheit entsprechen, was ich schon allein dadurch zu unterstützen vermag, dass ich selbst, der Erzähler, ein recht befremdliches Verhalten an den Tag lege, dies aber hier freimütig, wenn auch mit genanten Gefühlen, vor der Öffentlichkeit gestehe.
    Ich hatte an einer Redaktionskonferenz teilgenommen und manch schönen Beitrag für den Abdruck durchzusetzen geholfen. So hatte ich also nicht den geringsten Grund, übellaunig einherzugehen und meiner Umwelt mit einem misanthropischen Blick zu begegnen. An anderen Tagen kommt es nicht selten vor, dass meine Sicht durch Misanthropie getrübt ist; gerade der Jugend stehe ich misstrauisch gegenüber, und es fällt ihr nicht leicht, mein Wohlgefallen zu erlangen. Besonders was Musik- und Kleidungsgeschmack angeht, lugt allzu oft die Intoleranz in mir hervor, ein Wesenszug, den man nicht pflegen sollte.
    Heute aber war nichts davon zu vernehmen, und ich ging heiter zur U-Bahn-Station, meinen Heimweg anzutreten. Während solcher Fahrten von wohl einer halben Stunde trinke ich gerne eine Flasche Bier, um mir die Zeit bis zum ersehnten Zuhause zu versüßen und mich auf den Feierabend und den ruhigen Tagesausklang einzustimmen. An diesem Abend hatte ich mir von der Redaktionssitzung eine Flasche Staropramen aufgespart, ein hervorragendes tschechisches Gebräu, das nun auch hierzulande bald in jeder Getränkehandlung zu erstehen ist.
    Nur kurz war die Wartezeit auf dem überfüllten Perron am Halleschen Ufer. Mit quietschenden Bremsen fuhr die Hochbahn in die Station ein. Erfreut, diese erste Etappe des Heimwegs bewältigt zu haben, ließ ich mich in einem Winkel des Waggons auf einen Sitz fallen und öffnete mit dem Feuerzeug die Flasche. Eine Handhabung, die noch vor zwanzig Jahren nur wenige beherrschten, inzwischen aber jedes Kind zu leisten imstande ist.
    Noch bevor ich mich jedoch setzen konnte, fragten mich zwei Jugendliche, wohl etwa fünfzehn Jahre alt, höflich nach einer Zigarette. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die bei anderen eine Unvernünftigkeit tadeln, wenn sie selbst diesem Laster frönen. Auch die Jugendlichkeit der beiden hielt mich nicht ab, dem Wunsch nachzukommen, hatte ich doch selbst mit fünfzehn begonnen zu rauchen, und erst recht heute wird man in diesem Alter die Risiken des Tabakgenusses einzuschätzen wissen. Allerdings wollte ich auf jeden Fall vermeiden, dass diese Jungen meine Zigaretten in der U-Bahn rauchten. Folglich fragte ich: »Für hier drinnen oder für nachher?«
    »Für nachher natürlich«, sagte der eine, und ich reichte ihm meine vorletzte Lucky Strike dieser Schachtel.
    »Kann ich auch eine haben?«, fragte der andere, und ich gab ihm die letzte, während sich der eine beeilte, dem anderen mitzuteilen, er möchte doch verzichten, weil es eben nun mal meine letzte sei.
    Von solcher Rücksichtnahme überwältigt, konnte ich nur sagen: »Ist schon okay. Ich hab noch eine Packung«, was durchaus der Wahrheit entsprach.
    Die jungen Leute sagten: »Ey, danke«, ich setzte mich in meinen Winkel und öffnete mein Bier.
    Ich trank einen Schluck und schaute noch mal hinüber. Ich kann mein Erschrecken kaum beschreiben, mein Entsetzen, wenn ich mir die nun gewiss folgenden unschönen Szenen ausmalte. Ich hatte beim Eintreten in den U-Bahn-Waggon, während ich den Jungen zwei Zigaretten spendierte, übersehen, dass

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