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Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Titel: Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Scheffler
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nicht mehr. Während der elf Schritte aus meinem Zimmer heraus in die Küche habe ich vergessen, was ich hier holen, gucken oder tun wollte. Schlimm. Was essen? – Nicht um diese Zeit. Einen Schnaps? – Zu früh am Tag. Was in den Zeitungen suchen? – Nicht, dass ich wüsste. Etwa die Dunstabzugshaube reinigen? – Unmöglich, egal wie versifft die ist, die Dunstabzugshaube wird höchstens alle fünf Jahre gereinigt. Und ich weiß genau, dass die vor zwei bis drei Jahren zuletzt dran war. Das Beste in solchen Situationen ist es, an seinen Ausgangspunkt zurückzugehen. Ich setze mich wieder an meinen Schreibtisch. Unten rechts auf dem Teppich steht eine leere Flasche Bier. Aha. Ich wollte mir aus der Küche eine neue Flasche holen. Alles klar. Ich gehe los und finde mich im Bad wieder. Ich weiß noch genau, dass ich eigentlich in die Küche wollte. Aber wo ich schon mal da bin, kann ich auch mal eben aufs Klo gehen. Ein paar Seiten im Spiegel lesen. So. Ich betrete den Flur und rufe Sabine zu: »Ich gehe mal eben in den Keller und hole mir eine Flasche Dornfelder. Soll ich dir was mitbringen?« – »Du kannst mir für später eine Flasche Kerner mitbringen«, sagt Sabine, »aber denk daran, dass du für mich noch zu Herschel gehen wolltest. Auf dem Weg kannst du dann auch gleich meine Briefe einwerfen.« Herschel ist eine Buchhandlung, bei der ich ein bestelltes Buch abholen sollte. Aus dem Keller zurück, stelle ich fest, dass ich Sabines Kerner dabeihabe, nicht aber meinen Dornfelder. Also noch mal runter. Zum Glück wohnen wir im Hochparterre. Ich öffne den Rotwein, damit er atmen kann, und ziehe mich wetterfest an. »Auf dem Rückweg von Herschel könntest du noch bei Schlecker rein und Katzenstreu kaufen. Und vergiss die Briefe nicht. Die müssen morgen da sein.« Ich stecke die Briefe in die Brusttasche und stiefele los. Bei Herschel hole ich die bestellte Broschüre über Kirchen im Müritzkreis ab, lasse mir eine kleine Tüte geben, erblicke auf dem Rückweg Schlecker, kaufe das gute Pitti-Katzenstreu, nehme auch noch eine Tüte von dem sauteuren Futter für Seniorenkatzen mit, kaufe hundert Meter weiter bei Getränke Hoffmann noch Zigaretten und bin endlich wieder zu Hause. Drei Stationen auf einmal. Donnerwetter. »Hast du die Broschüre?«, fragt Sabine. – Mist! »Ich muss noch mal los«, sage ich und verlasse schnell die Wohnung. Die Bedienung bei Getränke Hoffmann lächelt mich freundlich oder auch mitleidig an. »Das hatten Sie auf dem Tresen liegen lassen.« Ich bedanke mich und bringe Sabine die Müritzer Kirchen. So, jetzt erst mal ein bisschen in die Kiste gucken.
    Zwei Stunden später bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich die Briefe auch eingeworfen habe. Ich kontrolliere die Brusttasche meiner Jacke und bin sauer auf mich selbst. Ein Schluck Dornfelder, ich ziehe Schuhe und Jacke an, rufe: »Ich muss eben noch mal zum Spätbriefkasten«, und verlasse abermals die Wohnung.
    Wieder zu Hause will ich endlich konzentriert an meinem Roman arbeiten. Zu diesem Roman passt kein Rotwein, sondern eher ein Bier und dazu ein Tullamore Dew. Ich schreibe lustig vor mich hin, links von mir auf dem Schreibtisch steht der Aschenbecher, rechts ein Glas Bier und eines mit Whisky. Abwechselnd nippe ich an beiden Getränken. Irgendwann ist das Whiskyglas alle. Ich nehme die Flasche und schenke mir nach. In das halbvolle Bierglas. Mist! Man soll eben nicht durcheinandertrinken. Aber jetzt ist es passiert. Und ich konnte noch nie etwas wegschmeißen. Nach kurzer Zeit merke ich, dass Durcheinandertrinken wirklich nicht gut ist. Feierabend.
    Sehr viel später sehen Sabine und ich uns im Fernsehn zu Ehren von Elizabeth Taylors 75. Geburtstag den großartigen Film »Die Katze auf dem heißen Blechdach« an. Sie hat sich aufs Sofa hingelagert, ich lehne in meinem Fernsehsessel. Ich frage: »Sabine, fändest du es blöd, wenn ich zehn Minuten sinnlos in der Küche herumstehen würde?« Sie sagt: »Ja, das fände ich ziemlich bescheuert.« – »Okay«, sage ich, »würdest du mir bitte ein Bier holen?« Sie zeigt mir einen Vogel, ich gehe widerwillig elf Schritte in die Küche und komme nach zehn Minuten mit der Flasche Dornfelder zurück. Sabine fragt, was ich denn so lange in der Küche gemacht hätte. »Ich habe nachgedacht«, sage ich, »wie das wohl in zwanzig Jahren aussieht.«

Wurst
    »Du Wurst«, sagte Simone und legte ohne ein weiteres Wort den Telefonhörer auf. – Beleidigt zu werden ist schon schlimm,

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