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Auserkoren

Titel: Auserkoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Hennessy geheiratet. Als Bruder Hennessy etwas dagegen einwenden wollte, musste er unsere Gemeinschaft verlassen und durfte niemals mehr zurückkehren. Er wurde davongejagt. Niemand von seiner Familie durfte ihn begleiten. Alle blieben hier zurück.
     
     
    »Wie alt bist du jetzt, Kyra?«, fragt Onkel Hyrum. Mit seinen dürren Fingern macht er sich an einer Serviette zu schaffen.
    »Dreizehn«, antworte ich. Mutter Claire hat mein Haar für dieses Treffen, diese Verabredung , so fest geflochten,
dass mir die Augen tränen. Meine Knie sind weich wie Butter, aber zum Glück sitze ich. Was würde passieren, wenn ich jetzt aufstünde?
    Onkel Hyrum nickt. »Das ist gut«, sagt er.
    Tante Melissa stellt ihm einen Teller hin, auf dem sich das Essen türmt. Der Geruch von Brathähnchen durchzieht den Raum. Aber Tante Melissa scheint das nicht wahrzunehmen. Ihre Lippen sind schmal, als hätte jemand dort, wo ihr Mund sein sollte, mit einem roten Stift eine Linie gezogen.
    Sie geht wieder in die Küche und bringt meinen Teller. Sie stellt ihn vor mich hin.
    »Danke«, sage ich, aber sie gibt mir keine Antwort.
    Auf dem Teller mit Blumenmuster liegen ein Hähnchenschenkel und ein Hähnchenflügel. Das Häufchen Kartoffelbrei ist nicht größer als ein Fünfzig-Cent-Stück. Von dem Maiskolben fehlen so viele Körner, dass man ihn besser den Schweinen als mir vorsetzen sollte.
    Ich versuche, einen Blick von Tante Melissa zu erhaschen. Ich möchte ihr sagen: »Ich will das genauso wenig wie du«, aber es funktioniert nicht.
    Sie geht ein drittes Mal in die Küche und kommt mit einem Teller Brot zurück.
    »Ich habe schon einen Platz für uns beide«, sagt Onkel Hyrum, als Tante Melissa den Teller auf den Tisch stellt. Das Haus von Onkel Hyrum ist sehr groß und geräumig. Er hat sogar ein Klavier.
    Er will meine Hand fassen, aber ich ziehe sie weg. Er nimmt sie dennoch, sein Griff ist fest. Ich mache eine Faust. Mein Magen krampft sich zusammen.

    »Nur noch ein paar Wochen, dann sind wir verheiratet.«
    Ich möchte sagen: »Joshua wird das verhindern. Er wird alles wieder richten.« Ich möchte laut aufschreien: »Ich werde dich niemals heiraten.« Ich möchte aufstehen und so schnell ich kann von hier weglaufen. Aber stattdessen starre ich auf seine knochigen Hände. Auf den Knöcheln wachsen schwarze Härchen. Hat Vater auch solche schwarzen Haare?
    Ich presse die Lippen zusammen. Vielleicht ist mein Mund jetzt genauso ein Strich wie der von Tante Melissa. Vielleicht sind wir plötzlich Zwillinge geworden?
    »Bald, Kyra«, fährt Onkel Hyrum fort, »wirst du zu dieser von Gott gesegneten Familie gehören. Und wir werden in der ewigen Herrlichkeit leben.«
    Tante Melissa stellt eine Kanne Milch auf den Tisch. Dann tritt sie zurück und schaut über mich hinweg. Sie ist alt und ihr Gesicht ist faltig. Ich habe sie immer für eine nette Frau gehalten. Bis zum heutigen Abend.
    »Lasst uns beten«, sagt Onkel Hyrum. Nur wir drei sind im Zimmer.
    Joshua , denke ich. Joshua .
     
     
    Nach dem Abendessen kündigt Onkel Hyrum an, dass er mich nach Hause begleiten will.
    »Ich kann alleine gehen«, wehre ich ab. »Es ist ja nicht weit.«
    »Kyra«, sagt er. Seine Stimme ist schneidend.
    Das Haus ist wunderschön. In der Küche stehen mehrere
Kühlschränke. Die Arbeitsplatten aus Granit blitzen. Überall sind Fenster. Im Haus ist es still, aber ich weiß genau, hier müssen Menschen sein. Wo sind sie alle?
    Wir gehen an einem Wohnzimmer vorbei, in dem ein hellgrüner Teppich liegt. An einer Wand ist ein riesiger, offener Kamin.
    »So lebt ein Apostel«, sagt Onkel Hyrum. »Gottes Segen ruht auf den Rechtschaffenen. Und auf jenen, die für sie aufgespart und auserwählt sind.«
    Ich erwidere nichts.
    Wir treten zur Tür hinaus. Es ist spät am Abend, dichte Wolken ziehen über den Himmel. Onkel Hyrum dreht sich um und zeigt auf ein Erkerfenster im oberen Stockwerk. »Das ist unser Hochzeitszimmer, Kyra«, sagt er und will meine Hand wieder ergreifen.
    »Oh.« Ich weiche ihm aus und gehe schneller.
    »Immer mit der Ruhe«, sagt Onkel Hyrum. »Wir haben viel Zeit.« Er nimmt meinen Arm, hakt sich unter.
    Ich beherrsche mich mühsam, um nicht schreiend zu meiner Familie zu laufen. Mir ist so übel, dass ich nichts um mich herum wahrnehme. Ich stolpere, und Onkel Hyrum bewahrt mich davor, der Länge nach hinzufallen. »Ein bisschen tollpatschig, was? Gut, dass ich dabei bin.«
    Er räuspert sich. »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben,

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