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Auserkoren

Titel: Auserkoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Vaters Stimme ist bleischwer. Eine Weile sitzt er regungslos da, er blinzelt nicht einmal. »Es ist Gottes Wille, dass wir bleiben«, sagt er schließlich. Er wischt sich übers Gesicht, und einen Augenblick lang sehe ich einen alten Mann vor mir, der keinen Ausweg mehr weiß. Meine Hoffnungen fallen in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
    Werde ich auch als alte Frau noch hier sein? Als siebte Frau meines Onkels? Die Mutter der Kinder des eigenen Onkels?
    Als Familie werden wir also nicht von hier weggehen. Vater wird das nicht tun.
    »Sie können mich nicht zwingen, ihn zu heiraten«, sage ich trotzig.
    »Sie können«, erwidert Vater.
    Mutter Claire und Victoria nicken. Sie sind derselben Meinung.
    Und zum ersten Mal glaube ich, zum ersten Mal fürchte ich, dass sie recht haben.
     
     
    Es gibt Menschen, die von den Erwählten geflohen sind. Manche von ihnen haben sich lange versteckt. Die Kader Gottes haben nach ihnen gesucht. Manchmal haben sie die Leute, vor allem die Frauen, zurückgebracht. Manchmal hat es ein Junge geschafft.
    Joshua und ich, wir haben uns hier, vor aller Augen, versteckt.
    Nachts. Zu später Stunde. Als alle schliefen. Als die
Eingangstüren verschlossen waren. Dann begann unser Versteckspiel.
    Wir versteckten uns im Gemeinschaftshaus, in dem die Frauen ihre Nähabende abhalten. Oder auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes, wo es so dunkel ist, dass man uns beide nicht bemerkte, wenn wir uns still verhielten.
    Wir versteckten uns hinter dem Tempel. Auf der Kellertreppe. Hinter unserem Wohnwagen.
    Unter seinem Schlafzimmerfenster.
    In einem Haus in der Nähe des Gemeindesaals, wo die Leute früher tanzten, und in dem wir jetzt jeden Monat Grillabende haben, wenn wir das zweitägige Fasten brechen.
    Bei den Ölweiden, bei denen ich in jedem Frühjahr niesen musste.
    Wir versteckten uns überall, wo wir konnten.
    Wird Joshua auch zu den Jungen gehören, die es schaffen?
    Wird er sich daran erinnern, dass er zurückkommen und mich holen wollte?
     
     
    Vier Tage lang sorge ich mich um Joshua. Wir beerdigen Abigail. Wir nähen mein Hochzeitskleid. Alles bringt meine Mutter zum Weinen, sie geht ans Grab ihres vierten toten Kindes. Die Flecken in meinem Gesicht verändern ihre Farbe von blau zu graugelb.
    Nachts, wenn ich neben Laura liege, denke ich an Joshua. Ich stelle mir vor, wie er wieder zu meinem Fenster
kommt. Nein! Er kommt zur Vordertür. Er sagt: »Ich bin da, um dich zu holen, Kyra. Ich habe ein Heim für uns. Und ich werde dich zu deiner Familie bringen, wann immer du sie besuchen willst.« Dann fährt er mit mir weg.
    Ich weiß nicht mehr, wann mir klar geworden ist, was wirklich geschehen wird, aber plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen.
    Joshua wird nicht kommen.
    Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt. Jedenfalls nicht sicher.
    Ich bin ganz auf mich allein gestellt. Und in nicht einmal einer Woche werde ich das Hochzeitsbett mit einem Mann teilen, der fünfzig Jahre älter ist als ich.

IV
    Nur eines gibt mir das Gefühl, dass ich es schaffen könnte. Das sind die Bücher. Das Lesen. Ich muss zurück. Nur ein einziges Mal noch. Wenn ich noch einmal zur Rollenden Bibliothek von Ironton gehen könnte, noch einmal den Geruch der Bücher einatmen und sie berühren könnte, wenn ich das könnte, dann, glaube ich, könnte ich es schaffen. Dann könnte ich Patrick sagen, dass er niemals mehr zurückkommen soll, nie mehr. »Fahr einfach vorbei, Patrick, und halte nicht an, selbst wenn ich an der Straße stehe. Fahr einfach weiter.«
    Genau das werde ich ihm sagen und schon allein deshalb geht es mir besser. Mein Entschluss gibt mir das Gefühl, dass es in Ordnung ist, Patrick noch einmal zu treffen.
    Tatsache ist: Sie wissen längst, dass ich durch die Gegend streife.
    Und Sheriff Felix hat Patrick ja schon ein Mal angehalten.
    Ich gehe immer spazieren. Es wäre auffällig, wenn ich jetzt nicht spazieren ginge.
    Aber sie beobachten mich. Alle beobachten sie mich jetzt. Meine Brüder und meine Schwestern. Mein Vater
und meine Mütter. Nur Mutter Sarah, die die ganze Zeit weint, scheint von mir keine Notiz zu nehmen. Sie lebt in ihrer eigenen Welt, glaube ich. Vielleicht dort, wo auch Abigail ist? Ich weiß es nicht.
    Aber als der Mittwochmorgen heraufdämmert, juckt es mich so, zur Rollenden Bibliothek von Ironton zu gehen, dass ich mich an den Armen kratzen muss. Mein Herz muss sich doppelt anstrengen mit dem Schlagen. Es muss Extraarbeit verrichten. Ich habe

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