Auserwaehlt
zuckte mit den Schultern. Dann stand sie auf und ging ins Badezimmer.
19
„Das ist jetzt nicht wahr, oder?“
Clara ging auf Kranichs Büro zu. Seit dem Anruf heute Morgen nahm sie ihre
Umwelt nur noch in Ausschnitten wahr. Sie ging wie durch einen Tunnel. Das
helle Licht am Ende kam aus Kranichs Büro, in dem sich bereits alle versammelt
hatte. Es war Montagmorgen, kurz nach acht. Kranich sah aus, als habe sie die
ganze Nacht nicht geschlafen. Tiefe Gräben zogen sich durch ihr Gesicht.
Wortlos reichte jemand Clara den Bericht.
„Das kann doch nicht wahr sein.“
Clara sank auf einen Stuhl, während sie las. Immer wieder schüttelte sie den
Kopf. Raul Malik, 23 Jahre, arbeitslos und vorbestraft, war über Nacht in
Untersuchungshaft verstorben.
„Als Leonhard ihm heute Morgen das Frühstück in die Zelle brachte, war er
bereits tot“, sagte Kranich und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare,
die Clara grauer vorkamen als sonst.
Raul Malik war tot? Clara überflog den Bericht: Herzrhythmusstörungen ...
Atemlähmung ... tödliches Multiorganversagen ... Methoxyamphetamin (PMA) und
Para-Methoxymethylamphetamin (PMMA) ...
„Eine dieser neuen, gefährlichen Ecstasy-Pillen“, hörte sie Kranich. „Woher!
Hatte! Er! Den! Scheiß?“
Kranich hatte jedes der Worte herausgebrüllt.
„Verdammt.“ Auch Hagen stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben.
„Zwei Tabletten von der Größe eines Aspirin hätten ausgereicht.“ Teufels Augen
hatten einen glasigen Ausdruck, als hätte auch er nicht geschlafen. „Er könnte
es sonst wo versteckt haben, in der Backentasche, im Anus, zwischen den Zehen.“
Clara schloss die Augen. Als sie heute Morgen die Wohnung verlassen hatte,
schlief David noch.
David? An ihrem Schulterblatt fühlte sie noch den Abdruck seiner Hand.
Clara öffnete die Augen und sah in zermürbte Gesichter. Auch den anderen fiel
es schwer, trotz langjähriger Diensterfahrung, mit einem Selbstmord in
Untersuchungshaft umzugehen.
„Verdammt!“ Clara fuhr zusammen, als Kranich mit der flachen Hand auf den Tisch
schlug.
„Zuerst dachte ich, der schläft noch“, hörte Clara eine zaudernde Stimme hinter
sich. Sie drehte sich um. Bleich saß Leonhard auf einem Stuhl an der Wand und
schüttelte den Kopf. Sie beneidete ihn nicht, die Leiche gefunden zu haben.
„Wenn ich gewusst hätte, dass er bereits tot war ... Aber ich verstehe das
einfach nicht, man hätte doch etwas hören müssen, Schreie oder so?“
„Hör auf, dir Vorwürfe zu machen“, sagte Hagen. „Es ist nicht das erste Mal,
dass so was passiert. Es passiert eben.“
„Hagen hat recht.“ Die Hauptkommissarin erhob sich, ihr Blick war wieder fest.
„Aber Malik war der einzige, der den Täter hätte wiedererkennen ...“ Clara
verstummte, als Kranich die Hand hob.
„Lügenmärchen. Wir haben ihn gestern noch bis spät in die Nacht vernommen. Er
hat sich dabei in Widersprüche verstrickt, die seine Glaubwürdigkeit mehr als
infrage stellen. Zudem wissen wir jetzt, dass die Fingerabdrücke auf Helga
Kramers Tasche von ihm sind. Außerdem,“ sie hielt das Fax hoch, das auf ihrem
Tisch lag. „Außerdem wurde auf Helga Kramers Anzughose ein Haar gefunden. Es
stammt von Raul Malik.“
Niemand sagte etwas.
„Vielleicht ist sein Selbstmord als ein Schuldeingeständnis zu verstehen“, sagte
Kranich und blickte zu Hagen.
„Ein Schuldeingeständnis?“ Clara spürte, dass die beiden etwas wussten. „Aber
das Haar ist doch noch kein Beweis, ich meine, Malik hat die Tasche geklaut,
vielleicht ist es da einfach ...“
„Oder habe ich gestern noch was verpasst?“, fragte sie.
„Ich habe ja noch mal mit Marcel Heller gesprochen“, nickte Hagen. „Er konnte
die Geschichte mit dem Pärchen, das im Stadtpark spazieren gegangen sein soll,
nicht bestätigten.“ Hagen machte eine Pause und sah Clara an. „Marcel Heller
ist allerdings etwas anderes aufgefallen. Auf Raul Maliks T-Shirt sei Blut
gewesen, als er mit der Handtasche zurückkam.“
Blut. Das war es also.
Obwohl Speichel, DNA und andere Ausscheidungen genauso als Beweise taugten,
hatte Blut die höchste Überzeugungskraft. Wem sprichwörtlich das Blut an den
Fingern klebte, der wurde vor Gericht doppelt so oft für schuldig erklärt als
die mit Speichel und DNA. Nur Sperma war ähnlich überzeugend.
Clara war schlecht. Sie brauchte einen Kaffee.
Kranich warf einen Blick auf die Uhr. „Die Wohnung von Raul Maliks Mutter wird
seit anderthalb Stunden durchsucht.“
Stühle scharrten,
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