Auserwaehlt
untersten
Küchenschublade, bis sie eine alte Packung Zigaretten fand. Eigentlich rauchte
sie kaum mehr.
„Was machst du hier?“ Sie nahm gegenüber von David Platz und zündete sich eine
Zigarette an.
„Heute ist der 7. Juli.“ Er ließ sie nicht aus den Augen. „Erinnerst du dich
nicht?“
Clara schwieg. Sie hatte gehofft, er würde Neuigkeiten von Peter bringen, das
verspätete Geständnis.
„Und dann habe ich von der Toten im Stadtpark gehört, unten in Steglitz, und da
musste ich an dich denken.“ Er nahm das Glas. Seine Hände waren braun gebrannt
und kräftig. Sie konnte die Sehnen genau erkennen. „Ihr habt doch den Fall, du
und Kranich? War es wirklich ein Raubmord?“
„Das ist noch nicht klar.“ Es war gut, wenn sie über den Fall redeten. „Etwas
stimmt da nicht. Ich meine, wir haben heute ein paar Jugendliche verhaftet, die
mit der Handtasche der Toten unterwegs waren, aber trotzdem, es gibt da ein
paar Details, die mich stutzig machen.“
„Was genau?“
Clara berichtete von der Spritze und dem Fisch und den drei bis vier Stunden,
die der Täter sein Opfer in der Gewalt hatte.
„Stonus-Toxin?“ Er legte die Stirn in Falten, eine Geste, die Clara schon immer
an ihm gemocht hatte. „Hab ich ja noch nie gehört.“
„Stonus, der Stein.“ Clara nahm ihr Glas und prostete ihm zu. „Toxin, das
Gift.“
David blieb Ernst. Wie früher. Clara mochte auch das an ihm. „Die Tatwaffe ist
in der Regel nur Mittel zum Zweck der Tötung. Die meisten benutzen ein Messer,
weil Messer einfach zu bekommen sind. Oder sie schlagen mit etwas zu, das sich
eben anbietet. Wenn sie eine Waffe hätten, würden sie schießen. Eine Spritze
hingegen“, er nahm einen Schluck Wein, „da fällt mir nur ein Arzt ein, oder
eine Krankenschwester, ein Drogenabhängiger vielleicht.“
Clara nickte. Während sie redeten, wurde die Zeit durchlässig. Zweieinhalb
Jahre hatten sie sich nicht mehr gesehen, doch es fühlte sich an wie gestern,
wie heute, wie morgen. Zwischen Menschen, die ihre Kindheit zusammen erlebt hatten,
gab es so eine Nähe manchmal. Doch David und Clara hatten keine Kindheit
zusammen erlebt; vielleicht zählte ein gemeinsames Durchschreiten des Abgrunds
ja genauso viel. Clara ertappte sich bei dem Gedanken, warum sie es eigentlich
nicht mit einer Freundschaft versuchten?
„Bei bestimmten Serienmördern ist das beschrieben“, hörte sie David wieder,
doch sie wusste nicht, wovon er sprach, „bei Psychopathen, Sadisten. In ihrer
Fantasie sind sie das Sterben des Opfers schon tausendmal durchgegangen, sie haben
einen ganz bestimmten Film im Kopf und nur diese Bilder verleihen ihnen die
Befriedigung, die sie suchen. Sie selbst versetzen sich dabei in die Rolle
eines Regisseurs, der über die absolute Kontrolle verfügt.“
„Aber bei solchen ... Psychopathen sind die Opfer schlimm zugerichtet“, sagte
sie leise und öffnete ein Fenster. „Verstümmelt.“
Sie spürte Davids Blick im Rücken.
„War die Frau denn zugerichtet?“
„Nicht im üblichen Sinne.“ Clara drehte sich wieder um. Sie mied Davids Blick.
„Wenn er sie gequält hat, dann anders. Im Tatverlauf gibt es ein Loch von drei
bis vier Stunden. Letztlich wissen wir nicht, was passiert ist.“
Clara stand am geöffneten Fenster und blickte in den
Kastanienbaum hinaus. Sie hatte das Licht gelöscht. Draußen war es warm und die
Schatten kündigten die Nacht an. David stand hinter ihr.
„Was denkst du?“, fragte er. Alles war wie damals.
Clara drehte sich um. David sagte immer, seine Augen wären braun, doch in
Wahrheit war es ein bernsteinfarbenes Gold. Sie legte den Kopf an seine Brust.
Sie hörte sein Herz schlagen. Sie spürte die warme Haut unter seinem T-Shirt.
Sie hätte ihm sagen wollen, dass es nicht gut war, was sie taten. Dass sie keine
Familie zerstören wollte, dass sie ohnehin keine Zukunft zusammen hatten – aber
es war ihr egal. In diesem Moment war ihr alles egal. Sie küsste ihn und alles
andere fügte sich.
„Was denkst du?“, fragte David, als sie eine halbe Stunde
später erschöpft nebeneinanderlagen. Clara kuschelte sich enger an ihn. Wie
damals.
„Das mit Monika“, begann David wieder.
„Sei still.“
„Hör mir doch wenigstens zu.“
Clara hielt sich die Ohren zu.
„Es ist vorbei“, hörte sie ihn.
Erstaunt drehte sich Clara um. „Hast du dich scheiden lassen?“
„Das nicht, noch nicht, aber ...“
„David“, sagte sie und lächelte schwach. „Sei einfach still.“
„Ich liebe dich, Clara.“
Sie
Weitere Kostenlose Bücher