Auserwaehlt
vollgekotzt haben. Ich habe sie abgesetzt und das war ‘s.“
„Wo?“
„Irgendwo in Mitte.“
„Und das liegt auf deinem Nachhauseweg?“
„Wenn man vom Prenzlauer Berg kommt, ja.“
Er sah Kranich in die Augen. „Es kam weder zu intimen Handlungen oder sonstigen
Gefühlen, die eine Befangenheit begründen würden. Seit diesem Abend habe ich
Stella Krefeld nie mehr gesehen.“
„Dir ist klar, dass das eine offizielle Aussage ist?“
„Natürlich.“ Hagen schob die Ärmel seines Hemdes nach oben.
„Gut“, sagte Kranich. Beiläufig streifte sie seinen nackten Arm. „Hast du Lust,
was Essen zu gehen?“
26
Clara starrte ungläubig auf den Monitor. Sie erkannte eine
schwarze Höhle in einem grauen Berg, in der Mitte zog sich in regelmäßigen
Abständen etwas zusammen.
„Das ist das Herz.“ Die Frauenärztin rollte mit der Maus über Claras Bauch.
„Herzlichen Glückwunsch. Sie sind schwanger.“
Ihr Lächeln erlosch, als sie in Claras Gesicht blickte.
„Wussten Sie es nicht?“, fragte sie erstaunt.
Clara starrte auf den schwarz-weißen Monitor. Der Kopf kam ihr größer vor als
der Rumpf. Arme und Beine waren vier kleine Kugeln. Es sah aus wie ein
Gummibärchen.
Wusstest du es nicht? Sie benutzte immer Kondome, prinzipiell. In den letzten zwei Jahren hatte
sie keine feste Beziehung mehr gehabt und die Männer, die sie per Zufall beim
Einkaufen, in Hotelbars oder bei der Arbeit aufgabelte, kannte sie kaum. Natürlich
benutzte sie Kondome!
Wirklich immer? David? „Ich dachte“, Clara räusperte sich verwirrt, „mit der Endometriose und so,
ich dachte, da könnte man gar nicht schwanger werden?“
„Endometriose ersetzt keine Verhütung.“ Blumenfeld sah sie prüfend an. Dann
wendete sie sich wieder dem Monitor zu. „Sie sind jetzt in der zehnten
Schwangerschaftswoche. Ihr Baby kann schon schlucken und treten, auch wenn Sie
die Tritte noch nicht spüren, dafür ist es noch zu winzig.“
Fassungslos sah Clara, wie das Gebilde sich drehte.
„Alle wichtigen Organe sind bereits entwickelt. Die äußeren Geschlechtsorgane
beginnen bereits, sich auszubilden, und in einigen Wochen sind sie soweit
fortgeschritten, dass wir feststellen können, ob es ein Junge oder ein Mädchen
ist.“
Geschlechtsorgane? Blumenfeld zog eine Linie vom Scheitel bis zum Steiß.
„3,5 cm“, sagte sie. „Vollkommen normal. Von der Größe her müssen sie sich das
vorstellen wie eine Pflaume.“
„Eine Pflaume?“
Clara sah, wie Blumenfeld etwas sagte, doch sie verstand den Sinn ihrer Worte
nicht.
„Frau Schwarzenbach?“ Die Ärztin streckte ihr Papierhandtücher entgegen. „Damit
können Sie sich abwischen.“
Abwischen? „Jetzt ziehen Sie sich erstmal wieder an und kommen nach vorne.“ Blumenfeld
war voller Elan. „Auf eine Vaginaluntersuchung verzichten wir heute.“
Als die Ärztin den Raum verlassen hatte, richtete Clara sich auf. Sie nahm die
Papiertücher und wischte sich das Gel vom Bauch. Dann rutschte sie von der
Liege. Hinter dem Paravent lagen ihre Schuhe und Socken. Sie sah an sich herab.
Ihr Bauch kam ihr auf einmal dicker vor. Ihr war schlecht. Ihre Knie zitterten.
Ein Baby? Was würde Margot sagen? Margot hatte keine Kinder und Margot sagte immer,
wenn sie all das Elend sähe, wäre sie froh darüber. All die verzweifelten
Eltern, deren Kinder Drogen nahmen. All die gewalttätigen Eltern, die ihre
Kinder misshandelten. All die Kinder, um die sich niemand kümmerte. Kinder, die
kriminell wurden, magersüchtig, krank, die einem fremd wurden. Mütter, die sich
den ganzen Tag abhetzten, um Job und Familie unter einen Hut zu bringen.
Mütter, die ...
„Frau Schwarzenbach?“ hörte sie Blumenfeld aus dem Nebenzimmer. „Alles in
Ordnung?“
„Ja“, versicherte Clara. „Ich komme.“
Sie schlüpfte in ihre Sandalen und ging rüber in das Besprechungszimmer. Nach
einer Untersuchung saß sie normalerweise gerne in diesem Zimmer, die
kultivierte Mischung aus Altbau und Bauhaus entspannte sie, doch heute zog sich
alles in ihr zusammen. Blumenfeld blickte Clara über ihren Schreibtisch hinweg
an.
„Es kommt Ihnen nicht gelegen, habe ich recht?“
Clara nickte. Sie ließ sich auf den Freischwinger aus Chrom und schwarzem Leder
fallen. Unten rollte der Verkehr auf der Joachimstaler Straße vorbei.
„Ich bin Kriminalbeamtin“, räusperte sich Clara.
Blumenfeld nickte.
„Ich arbeite zwölf bis sechzehn Stunden, Tag und Nacht, ich sehe mehr Tote als
Lebendige.“ Clara schlug die Beine übereinander. „Ich
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