Auserwaehlt
offensichtlich wollte er, dass sie
weiß, dass sie das Gift in sich trägt.“
Clara ballte die Faust. „Hat das Labor schon etwas über die Farbrückstände
herausgefunden?“
„Die Partikel am Kleid des Opfers stammen von einer handelsüblichen Innenfarbe“,
erklärte Leonhard. „Vermutlich ein dunkler Braunton. Sie scheint in einem Raum
gewesen zu sein, der erst kürzlich frisch gestrichen worden war.“
Als niemand etwas sagte, erhob sich Sebastian in der letzten Reihe. Seine
großen Hände hielt er wie Schalen in der Luft. „Der Täter wusste, dass Stella
Krefeld in der Bibliothek war. Er wusste sogar, welches Fahrrad ihr gehörte. Er
muss sich also selbst des Öfteren in der Bibliothek aufgehalten haben. Das ist
unser Ansatzpunkt.“ Er räusperte sich. „In die Bibliothek kommt man nur mit
einer Wochen- oder Jahreskarte, dafür werden die Namen und Adressen digital
erfasst. Das Problem ist nur“, er räusperte sich abermals, „das Drehkreuz am
Einlass registriert nur die Anzahl der Benutzer, es kann aber die Benutzerdaten
nicht lesen. Das heißt, wir wissen nicht, wer gestern alles in der Bibliothek
war.“
„Allerdings gibt es eine Chance“, verkündete er. „Wer ein Medium ausleiht oder
bestellt, der wird erfasst. Ich habe die Liste der Namen bereits angefordert.“
„Danke.“ Kranich fuhr sich durch die Haare und versuchte, sich an die Worte zu
erinnern, die Ursula bei der Pressekonferenz gebraucht hat. „Offiziell können
wir noch nicht von einem Serienmord sprechen. Es besteht lediglich der Verdacht.
Ist das allen klar?“
Alle nickten. Es war stickig in dem Raum.
„Es gibt da eine Sache, die uns Probleme macht“, fuhr Kranich fort. Das hatte
Ursula der Presse nicht gesagt.
Kranich erhob sich, um ein Fenster zu öffnen.
Alle wussten, was sie meinte.
„Raul Malik ist tot“, sprach sie es aus. „Er war nicht der Mörder von Helga
Kramer.“
„Was, wenn sich seine Kumpels für den Tod ihres Anführers gerächt haben? Sie
inszenieren einen zweiten Mord ähnlich dem ersten ... um ... rückwirkend ...
seine Unschuld zu beweisen?“
Kranich nickte der Frau in der letzten Reihe zu, die neben Richard saß und auch
bei der Spurensicherung arbeitete. Es gab Erklärungen. Aber sie glaubte nicht
daran.
„Möglich.“ Hagen trug ein weißes Hemd und eine bekümmerte Miene. „Ich befürchte
allerdings, wir haben es tatsächlich mit einem Serienmörder zu tun. Was mir
Sorge bereitet, ist das differenzierte System, das er aufbaut. Er hinterlässt
Symbole, die roten Zettel, den Stein, der Pionierknoten. Seine Morde tragen
zwar dieselbe Handschrift, doch sein Vorgehen ist nicht identisch. Er scheint
genau zu wissen, was er von seinen Opfern will. Und das ist weder Geld noch
Sex. Doch was will er?“ Hagen war aufgestanden und ging unruhig auf und ab. „Er
will uns etwas sagen und er wird nicht aufhören, zu morden, bis wir es verstanden
haben. Er arbeitet sich langsam an das Ziel seiner Obsession heran.“
Etwas knackte.
Kranich wandte sich an Clara. „Was meinst du?“
„Hagen hat recht“, sagte sie leise. „Der serielle Mord unterscheidet sich von
einem gewöhnlichen Tötungsdelikt nur dadurch, dass der Täter mit dem Tod des
Opfers keine Ruhe findet.“ Clara hustete. „Er findet darin zwar kurzfristig
Befriedigung, doch langfristig gesehen vergrößert sich das Problem sogar noch,
das er hat, und produziert neue Tatanreize.“
„Was für ein Problem?“ Kranich trommelte mit den Fingern auf dem Tisch.
Clara gab Leonhard ein Zeichen, er solle die Powerpoint-Folie an die Wand
projizieren.
Das rote Fenster erschien in zehnfacher Vergrößerung.
„Ich bin auserwählt.“ Clara setzte sich auf den Tisch und schlug die Beine
übereinander. „Das scheint mir die zentrale Botschaft zu sein, der Schlüssel,
der in die Psyche des Mörders führt.“
Leonhard schloss die Jalousien der vorderen Fenster, damit die Projektion
besser zu sehen war. Alles war jetzt rot.
„Von Helga Kramer wissen wir, dass sie in den Wochen vor ihrem Tod mehrere rote
Zettel mit dieser Botschaft gefunden hat“, fuhr Clara fort. „Jeweils zwischen
den Seiten ihrer Bücher. Bei Stella Krefeld können wir derzeit noch nichts
sagen, ihre Wohnung wird noch untersucht. Allerdings war die Auswertung ihres
Computers bereits positiv.“ Clara nickte Lilly zu. „Beide Opfer haben am Tag
ihres Todes eine E-Mail erhalten. So kam der Virus in ihren Computer.“
„Richtig“, bestätigte Lilly und erhob sich. Sie trug ein dünnes,
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