Ausflug ins Gruene
wieder gut, aber hier?
Ich versuchte den muffigen Geruch zu ignorieren, der von mir ausging und den ich durch eine Überdosis Damenparfum zu vertuschen versucht hatte. Wie sollte ich all das erklären? Wie sollte ich diese Klasse nach diesem Auftritt jemals dazu bringen, sich für das Schreiben einer Erörterung zu begeistern? Ich räusperte mich und bekam Zuversicht, daß meine Stimme sich stabilisierte.
»Mein Name ist Vincent Jakobs. Ich werde euch von nun an in Deutsch unterrichten.« Welch origineller Einstieg. Im Vergleich mit Dr. Specht hatte ich schon alles verloren, was es zu verlieren gab. Mein Gehirn arbeitete trotzdem auf Hochtouren, und das, obwohl die letzten vierundzwanzig Stunden der reine Horror gewesen waren. Mir kam eine Idee. Pfeif was auf Erörterungen!
»Wir werden uns in den nächsten Stunden mit einer literarischen Gattung beschäftigen, die vielerorts nicht als ernst zu nehmende Literatur behandelt wird. Was wir uns genauer ansehen werden, sind Krimis!« Ein Raunen ging durch die Reihen, das ich optimistisch als ein Mittelding zwischen Überraschung und Zustimmung interpretierte. Das spornte mich an.
»Jeder kennt sie, jeder liest sie, jeder liebt sie. Und doch haben sie in der Literaturwissenschaft oftmals einen schlechten Ruf. Habt ihr eine Ahnung, woran das liegen könnte?«
Mehrere Finger gingen hoch. Ich nahm ein Mädchen in der letzten Reihe dran.
»Also, was mich an Krimis immer richtig aufregt, sind die Stories. Da denken sich die Autoren oftmals Geschichten aus, die nie in der Realität passiert sein könnten.«
Ich spann meine Idee weiter. »Ich mache euch einen Vorschlag. Laßt uns zum Einstieg experimentellen Unterricht machen! Schließt euch in Gruppen zu jeweils vier Leuten zusammen und denkt euch eine Geschichte aus, die sich für einen Krimi eignen würde! Im zweiten Schritt überlegen wir dann gemeinsam, nach welchen Kriterien man einen Kriminalroman erzählen könnte.«
Nach einigen Minuten war alles organisiert. Die Schüler saßen in Gruppen und wetteiferten mit ausgefallenen Ideen.
Ich nutzte den Augenblick und stellte mich ans Fenster, um etwas zur Ruhe zu kommen. Über den Schulpark hinweg hatte ich einen guten Blick auf die Stadt. Dahinter taten sich die sauerländischen Wälder auf – und nicht zu vergessen – die sanften Hügel des Sauerlandes. Berge und Berge und Berge – bestimmt tausend Stück.
Plötzlich stand eine Schülerin neben mir. »Nur mal ’ne Frage«, sagte sie mit den Händen in den Hosentaschen. »Sind Sie nur ’ne Vertretung oder bleiben Sie länger?«
Ich blickte nach draußen, auf die Berge, und dachte an Regine, aber auch an Max und Leo und natürlich an Alexa.
»Ich bleibe natürlich!« sagte ich bestimmt. »Etwas Besseres kann mir doch gar nicht passieren.«
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