Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
dünnes Haar klebte an der Kopfhaut genauso wie die Mullbinde an seinem rechten Arm, die eine Infusionsnadel festhielt. Jämmerlich war der Anblick, wie sich dieser alte Greis abmühte.
Albert schaute weg, so wie damals bei seiner schwer kranken Mutter, als sie zum Pflegefall degradiert im Altersheim vor sich hin vegetierte. Von Alzheimer gebeutelt, erkannte sie ihren eigenen Sohn nicht mehr, deshalb fand er es auch überflüssig, sie weiter zu besuchen. Sie würde nichts vermissen und ihm würde es besser gehen, denn er hasste alte kranke Menschen. Sie waren wie ein faulendes Stück Fleisch. Grau und runzelig. Näherte man sich ihnen, stieg einem dieser übel nach Verwesung riechende Geruch in die Nase. Hübsch anzusehen waren sie auch nicht gerade. Buckelig, wie die meisten daher kamen, in ihren Gehwohl-Schuhen und geschmacklosen, versabberten Jack en und Hosen, mit grauem, dünnen Haar, soweit noch etwas geblieben war. Besonders nervte ihn dieser wässerige Blick aus gräulich unterlaufenen, müden Augen. Er verabscheute diese vom Tod gezeichneten Kreaturen, die ihm das unausweichliche Ende seines Daseins prognostizierten. Saskia sah das damals anders und kümmerte sich um seine Mutter, die ihr feindselig gesonnen war, mit der sie nie in Harmonie, sondern stets in Konkurrenz gelebt hatte. Es war ihm ein Rätsel gewesen, warum ausgerechnet Saskia damals die Besuche bei ihr übernahm, aber sie half ihm, mit einem reinen Gewissen durch die Gegend zu laufen, denn durch sie war er bestens über deren Gesundheitszustand informiert und fand im Familienkreis als Berichterstatter höchste Anerkennung.
„Augen zu und durch“, dachte er, ignorierte die schleichenden Hausbewohner und versuchte, die Luft anzuhalten. Das Krankenhaus war klein und provinziell, es gab nur eine Intensivstation, die er auch gleich fand, und während er entschied, das dieser Ort nicht unbedingt der qualitativ beste für Komapatienten war und schon die Verlegung in die Uni-Klinik im Geiste plante, spürte er ein leichtes Herzklopfen. Nervös drückte er die Klingel am Eingang der Intensivstation, endlos schien ihm plötzlich die Wartezeit, und er drückte wieder und wieder auf den Knopf, bis eine aufbrausende Krankenschwester öffnete.
Ihr Outfit war ziemlich übertrieben, wie er fand. Sie steckte in einem blauen Overall mit Kapuze auf dem Kopf und Mundschutz im Gesicht. Alles, was er sah, waren ihre spitze Nase und giftig blitzende grüne Augen.
„Geduld, Geduld, mein Herr, hier wird im Akkord gearbeitet, wir sind unterbesetzt und völlig überlastet, zu wem wollen Sie?“
Und dann begann ein gnadenloses Prozedere. Er musste sich als Ehemann ausweisen, er musste seinen Autoschlüssel, sein Handy abgeben, die Armbanduhr ausziehen und den Ehering. Zum ersten Mal nach 14 Jahren zog er den Ring von seinem Finger, den ihm Saskia damals in Liebe übergestreift hatte, das tat weh. Mit barschem Ton wurde er anschließend in den Umkleideraum geschickt. Die Krankenschwester öffnete einen Spind und legte dort seine Sachen rein, und dann musste er ebenfalls in einen dieser Anzüge steigen, Plastiktüten über seine Schuhe ziehen, Plastikhandschuhe und Mundschutz tragen.
„Nehmen Sie sich bitte ein Formular vom Tisch und füllen Sie alles genau aus, wir holen Sie dann“, mit diesen Worten verließ sie den kleinen nüchternen Raum, indem es nicht mehr als die Schrankwand, einen Tisch und vier Stühle gab. Unbehagen hatte ihn erfasst, widerwillig zog er sich um und setzte sich.
„Krankheitsgeschichte“, las er auf dem Blatt in seiner Hand. Es ging nicht um ihn, es ging um seine Frau, es ging um Fragen, die er schwer beantworten konnte. Gegen was sie allergisch sei? Welche Operationen sie schon hinter sich hatte? Ob sie unter psychischen Erkrankungen litt?
Woher sollte er das wissen? Mühsam versuchte er sich durchzuarbeiten, und von Zeile zu Zeile wurde ihm immer deutlicher, dass er zu wenig über Saskia wusste. Sie war doch nie krank gewesen, nur zur Geburt ihres Kindes ins Krankenhaus gegangen, gut, beim Kaiserschnitt wäre sie fast gestorben, nun ja, und dann fielen ihm die diversen Schönheitsoperationen ein, wegen denen es immer wieder Streit gab. Dunkle Gewitterwolken stiegen in seinem Kopf auf, und das liebliche Bild der Schönen zersplitterte wie ein zerbrechlicher Spiegel an der Wand. Ihr traumhaftes Antlitz verwandelte sich in eine gruselige Gestalt. Saskia erschien als ein Männer verzehrendes Monster, mit knallroten langen Krallen, mit
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