Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
Gebot, und so kam es auch, dass er in der Nacht vor diesem unheilvollen Morgen das Gestöhne und Gekeuche auf Zimmer 233 ignorierte. Für ihn ein normaler Vorgang, denn quasi jede Nacht gab es hinter irgendeiner Tür Geräusche voller Lust und Liebe. Ob das zu laut, anstößig oder ungehörig war, kein Thema, solange sich die Zimmernachbarn nicht beschwerten. Da gab es ganz andere Exzesse, bei denen er dann schon mal einschritt. Zum Beispiel, wenn randaliert wurde, dann machte auch er sich beim Gast unbeliebt, um Schlimmeres zu verhindern, und das wurde von seinem Vorgesetzten stets gelobt.
Einen Hilfeschrei hatte es in seiner Laufbahn in diesem Haus allerdings noch nie gegeben, aber gehört hatte er schon davon. Unter den Kollegen kursierten immer wieder Geschichten mit wahren Helden. Sie erzählten von mutigen Hotelmitarbeitern, die in der Not zur Stelle waren und souverän Erste Hilfe leisteten. Solche Erzählungen machten ihn neidisch, er hoffte regelrecht auf eine passende Gelegenheit, und nun hatte auch er die Chance bekommen, Courage zu zeigen, aber ihm war kein Dank, keine Hochachtung gegönnt. Schelte bekam er, und wenn er Pech hatte, und davon ging er nach den ersten Reaktionen aus, würde sein unbefristeter Urlaub endlos werden.
Hassgefühle quollen in ihm empor wie kochendes Lavageröll. Er würde sich rächen , und er wusste auch schon wie. Wenn den Hoheiten in der Chefetage das Image des Print Hotels mehr am Herzen lag als seine soziale Einstellung und langjährige Treue, dann hatte er nichts mehr zu verlieren und würde ihnen eins auswischen.
„Wie Du mir, so ich Dir“, dachte er grimmig, nahm sein Handy aus der Tasche und rief Oskar an.
Kapitel 6
Albert hatte keine Eile auf dem Weg ins Krankenhaus. Seine Frau lag im Koma, soviel wusste er, nur er durfte als direkter Angehöriger zu ihr. Relaxt lehnte er sich in dem Ledersitz seines Autos zurück und genoss das Gefühl, sie endlich wieder ganz alleine zu besitzen. Sie schlief tief und fest und war nicht mehr in der Lage wegzulaufen. Im Geiste sah er sie aufgebahrt in einem gläsernen Sarg, die zarten langen Hände mit dem glitzernden Ehering am Finger übereinander gelegt auf ihrer makellosen Bauchdecke ruhend. Saskia im blütenweißen Kleidchen mit goldenen Schuhen an den schmalen Füßen. Das lange, glänzende Haar auseinander gebreitet, als Kranz um ihr schönes Gesicht gelegt. Mit rosa Wangenknochen und blutroten Lippen. Die Augen geschlossen, friedlich, auf Satin gebettet. Ja, sie schlief und sie würde auferstehen, wenn er sie küsste.
Furchtlos steuerte er auf den Parkplatz des Krankenhauses zu, unberührt von der Tatsache, dass Saskia eventuell in Lebensgefahr schwebte, aus dem Koma vielleicht nie mehr erwachte, nein, düstere Visionen beherbergten nicht seine Gedankenwelt, und die Schmach und Pein, die sie ihm, dem betrogenen Ehemann, zugefügt hatte, war er bereit zu vergessen. Märchengeschichten hatten ein Happyend. Am Ende siegte doch immer das Gute, und das Böse wurde besiegt, überlegte er und wünschte sich im Geheimen, dass sein Widersacher, ihr Liebhaber, diesen Tag nicht überlebte, bereits ausgemerzt war oder kläglich verreckte. Ja, er sollte sterben, das wünschte er sich, und dieses Problem wäre endlich gelöst.
„Tot, tot, tot“, rief er vor sich hin und schlug im Takt mit der Hand auf das Lenkrad. Sein Tod wäre die gerechte Bestrafung seines Diebstahls, dieser aufgeblasene Bohemien, der seine Prinzessin entführt hatte.
Rund um das Krankenhaus waren alle Parkplätze belegt. Selbst das brachte ihn nicht aus der Ruhe. Er konnte sowieso nicht lange bleiben, denn um 19 Uhr war das Gänseessen vom Club, da musste er auf alle Fälle präsent sein als zukünftiger Präsident. Also parkte er direkt im Halteverbot, die paar Euro Strafe würden ihn nicht arm machen.
Schwungvoll stieß er die Glastür zur Klinik auf, und der von Putz- und Desinfektionsmitteln gedrängte penetrante Geruch ernüchterte seine blumige Phantasie schlagartig. Was er sah und roch, war schmucklos und unangenehm. Kranke, farblose Gestalten in gammeligen Bademänteln und billigen Filzpantoffeln schlurften ihm düster blickend entgegen. Ihr Leid war ihnen auf die Stirn geschrieben. Ein alter Mann im Rollstuhl zog sich mühsam am Kaffeeautomaten hoch, um ein Geldstück in den Schlitz einwerfen zu können, dabei rutschte sein Urinbeutel vom Sitz, der mit einem Schlauch verbunden irgendwie im halb offenen Pyjamaoberteil verschwand. Sein graues
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