Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
Narben an den Oberschenkeln, die der Chirurg beim Fettabsaugen hinterlassen hatte.
Diese dumme Gans. Ein Heidengeld hatte der Schwachsinn gekostet, wochenlang war sie jammernd mit blaugrünen Blutergüssen durch die Gegend gelaufen, ein Theater war das gewesen, nur weil sie plötzlich diesen Tick mit den zu dicken Beinen hatte. Alberts Blick wanderte an der kahlen weißen Wand entlang. Hier gab es wirklich nichts, womit er sich ablenken konnte, kein Fenster, kein Bild, keine Zeitschrift. Er fühlte sich wie in einer Gefängniszelle.
„Nötigung, ich sitze hier in Einzelhaft, und sie bestimmen über mich“, dachte er schmollend.
Die gähnende Leere des Raum es zwang ihn in die Knie, und beschäftigungssüchtig begann er, die zarte Maserung der Raufasertapete zu analysieren. Noppig war sie wie die Gesichtshaut eines ungepflegten Jugendlichen. Unbewusst strich er über seine rechte Wange und erschrak. Er fühlte die feinen Narben, Zeugnis seiner Pubertätsakne und Nachlässigkeit. Damals interessierte ihn sein Äußeres nicht, aber als auch ihn die männliche Eitelkeit beschlich, blickte er jeden Morgen verzweifelt in den Spiegel und konnte den Anblick der eitrigen Pickel kaum ertragen. Wenn er einem attraktiven Mädchen begegnete, schämte er sich so sehr, dass er erst gar keinen Annäherungsversuch wagte. Bis Saskia ihn eroberte.
Er sah sie vor sich bei ihrer ersten Begegnung. Im Dirndl, damals auf der Faschingsfete im Dorf. Lieb und brav war ihr Antlitz. Bis zum Halse zugeschnürt saß sie artig auf der Holzbank am langen Biertisch. Etwas bieder fand er sie, aber ihr sympathisches Lachen zog ihn an, er fand es nett, wie sie Arm in Arm mit anderen Gästen schunkelte und die blöden Texte der schrägen Schlager, die sie in- und auswendig zu kennen schien, grölte. Ihre gute Laune war ansteckend. Obwohl er Fasnacht verabscheute und nur auf ein kurzes Bier an diesem Abend einen Freund begleitet hatte, ließ er sich von ihrer Fröhlichkeit anstecken, und als sie ihn dann an der Schulter packte und in die Polonaise hinein schob, da zottelte er mit, ließ sich von ihr durch die große Turnhalle schieben und entschuldigte sich auch noch dafür, dass ihm so gar keine Verkleidung eingefallen sei. Saskia lachte nur laut, ihr schien das völlig unwichtig zu sein, und als sich die Schlange wieder auflöste und Walzerklänge den Raum durchströmten, packte er sie und wirbelte mit ihr über das Parkett. Ihre beiden geflochtenen dicken schwarzen Zöpfe hüpften hin und her, und es kostete ihn viel Kraft, ihren korpulenten Körper zu führen. Damals war Saskia recht stämmig, eine wahre Frohnatur mit üppigen Formen. Den Spleen mit der schlanken Figur bekam sie erst später, eben nach Gretas Geburt. Körperkult war seitdem bei ihr angesagt, und jede Stelle ihres Körpers musste verbessert und verändert werden. Wie eine Bildhauerin feilte sie an ihrer Figur, Frauenzeitschriften und Probecremes türmten sich im Schlafzimmer. Ihre braven Klamotten trug sie zur Altkleidersammlung, und den heftigen Kontobewegungen entnahm er den regelmäßigen Kauf von Dessous und Designermode. Am Anfang gefiel es ihm, wenn sie mit High-Heels und engen langen Röcken an seiner Seite stolzierte, doch als er begriff, dass ihre neue Verkleidung dem reißerischen Zweck diente, die Männer im Bekanntenkreis anzumachen, verging ihm der Appetit. Es war wie ein Experiment, das sie gestartet hatte, ein gefährliches Spiel, das sie täglich neu erfand.
F ür ihn blieb dabei nicht mehr als die Rolle des Zuschauers. Sie kokettierte mit ihren Reizen, sie ließ sich anfassen und saugte die gierigen Blicke auf, wie eine ausgetrocknete Pflanze das Regenwasser. Was sie unterschätzte, war das Maß, die hohen Anforderungen, die sie sich selbst auferlegt hatte und nun befriedigen musste. Permanent stand sie unter Leistungsdruck, unter Erfolgszwang, „die Schönste im ganzen Land“ zu sein, begehrt zu werden und am Ende ihr Spiel zu gewinnen. Ein Sieg war für sie erst errungen, wenn das Opfer die eigene Frau vergaß, ausbrach, sündigte und ihr verfiel. Was dann passierte, wusste er damals nicht, er ahnte es nur und ignorierte die Wahrheit, hoffend, dass er anschließend vom leckeren Kuchen naschen durfte, und so war es auch eine Zeitlang, besonders wenn sie Alkohol getrunken hatte.
Die Fahrt mit der VIP-Limousine kam ihm ins Gedächtnis. Sie waren mit einem Kollegen und dessen Frau auf einer Weihnachtsgala im Hyatt gewesen. Saskia hatte schon im Hotelzimmer ein
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