Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
realisierte sie ihre Anspannung, stellte das Radio aus, und in der plötzlichen Stille fiel das Denken leichter. Ihre Freundschaft bekam eine völlig neue Dimension auf diesem kurzen Weg, denn zum ersten Mal dachte Olivia wirklich über diese Freundschaft nach.
Als Verbündete wandelte sie jahrelang an Saskias Seite, fragte nicht, agierte nur. Tat, was sie wollte, immer mit dem Gefühl, einen kameradschaftlichen Dienst zu erweisen.
Vor einem Jahr hatte Saskia sie zur Mitwisserin gemacht, zur Komplizin, sie in ihr Intimleben eingeweiht und benutzt, für ihr seelisches Gleichgewicht, ihr verbotenes Liebesspiel. Ja, sie hatte einen geheimen Liebhaber. Die Öffentlichkeit war also tabu. Verheiratet, wie sie und Frank es waren, scheuten beide die gesellschaftlichen Ressentiments in der Stadt. Die enge zeitliche Begrenzung zwischen Praxis und Familie zwang sie in ein unnachgiebiges Korsett. Das Dickicht der Bäume im Wald war deshalb ihr Versteck, das Auto ihr Bett, das Hotelzimmer die teure, komfortable Lösung bei schlechtem Wetter. Einen gemeinsamen Abend mit Freunden gab es für sie nicht und auch kein kulturelles Unterhaltungsprogramm oder Restaurantbesuche, jedenfalls nicht hier vor Ort.
Bei Olivia existierten keine schrägen Blicke, kein Getratsche, kein Misstrauen, deshalb kamen sie zu Besuch, denn hier in Olivias Wohnung konnten Frank und Saskia ihr Glück zeigen. Als Paar auftreten, ohne hinterfragt und bewertet zu werden. Bei Olivia ging das, problemlos. Sie kannte keine Vorurteile und sie verurteilte niemanden. Mit Frank pflegte sie genau den gleichen liebenswürdigen Umgang wie mit Albert. Die spontanen Zusammenkünfte in Olivias Wohnküche waren amüsant, freundlich, wenn auch leicht angespannt. Jedenfalls befiel Olivia regelmäßiges Mitleid, wenn die beiden vorbei kamen. Geheuer war es ihr nicht, Zeugin des verbotenen Spiels zu sein, aber sie duldete die Situation, so wie sie war. Wertfrei, kommentarlos öffnete sie ihre Haustür und schloss sie wieder. Improvisation war ihre leichteste Übung, und wenn sie dann aus ihren kläglichen Vorräten ein schnelles Menü zauberte, freute das Saskia besonders. Lauthals amüsierte sie sich zu gerne über die miserable Haushaltsführung, über den „Studentenhaushalt“. Ihr größter Spaß war Olivias katastrophale Ernährung, sie liebte es, über die Tüten mit Gummibärchen und Keksen in jeder Form zu lästern. Wenn sie ihre Schubladen öffnete und die Leckereien entdeckte, gluckste Saskia vor Schadenfreude. Die ungestrafte Lästerei garantierte Franks Applaus. Alles lachte dann herzlich, natürlich auf Olivias Kosten. Man vertraute einander, weil jeder so wunderbar stillhielt.
D ie Komplizin war nun aktiv geworden und bog in die Kurfürstenstraße ein. Kurz vor dem Ziel fragte sie sich, wie Frank ihren Besuch wohl interpretieren würde. In seiner Praxis nachzuschauen, das war ihr unangenehm, Eintritt in das Leben anderer zu nehmen, höchst peinlich. Eigentlich war es Alberts Aufgabe, seine Frau zu suchen.
Sie wählte seine Handynummer, wie sie das an diesem Tag bereits mehrfach getan hatte, doch der Teilnehmer war unerreichbar. Also musste sie weiterfahren, suchen, sich auf das Glatteis begeben, ohne das Ergebnis ihrer Unternehmung zu kennen.
Der rote Mini rollte langsam über den feuchten Asphalt. Das fade gräuliche Spätsommerlicht verdüsterte ihre Stimmung. Irgendwo zwischen den vornehmen Villen und alten Bäumen musste es sein. Und da sah Olivia das große Schild, silbrig glänzend am Eingang. „Praxis Dr. Frank Stein, Internist, Termine nur nach Vereinbarung“. In der Hofeinfahrt parkte sein Auto. Ein eleganter anthrazitfarbener Bentley, Metall verchromt. Für Saskia war dieses polierte Gefährt ein Statussymbol, ein Teil von ihm, indem sie Platz nehmen durfte, indem sie an seiner Seite sitzen konnte, das Recht dazu bekam und sich für diesen Moment sicher als seine Partnerin fühlte. Oft hatte sie Olivia von ihren gemeinsamen Ausflugsfahrten berichtet. Wie sie den Wagen im Wald an abgelegenen Stellen geparkt hatten, um sich zu lieben. Geheim, stets die prickelnde Angst im Nacken, dass ein Spaziergänger, Hundebesitzer oder Förster zufällig vorbei kommt und Zeuge ihrer verbotenen Zusammenkünfte würde. Ihr einziger Sichtschutz wären die vom Atem beschlagenen Fensterscheiben, hatte sie einmal lachend erwähnt.
Olivia stieg aus und klingelte.
Kapitel 2
Greta hatte am Morgen endlich das Haus verlassen. Albert ging erschöpft ins Bad, um
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