Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
meinem hartnäckigen Drängen zu verdanken, dass René endlich wieder Live Musik spielt. Ich kenne alle Musiker persönlich. Mit ihnen nehme ich vor ihren Auftritten die einzige Mahlzeit am Tag ein. Danach wickel ich mich in die schwarze Servierschürze und bediene im Revier der Residenten und acht weitere Tische bis spät in die Nacht.
»Sie wird sich noch zu Tode arbeiten.« Sarah ist wütend auf René, der meine Hilfe so schamlos ausnutzt und verärgert über Tobias, der mir mit seiner Ankündigung wegzugehen, wieder einmal den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Sein Rückzug wird zur Folge haben, Clara nicht wiedersehen zu können. Allein diese Vorstellung ist der Grund für meine maßlose Arbeitswut. Aufgebracht stellt Sarah Tobi zur Rede.
»Reicht es dir nicht, Marie mit deiner Untreue bis aufs Mark verletzt zu haben? Musst du ihr mit Clara jetzt auch noch den finalen Stoß versetzen?«
»Sie will mich nicht zurück. Seit Wochen kassiere ich eine Abfuhr nach der anderen.«
»Das hast du selbst vermasselt, also trage auch du allein die Konsequenzen und lass es nicht Marie und Clara ausbaden!«
Schon von Weitem erkenne ich den hellen Armani Anzug. Mit meinem vollen Tablett gehe ich an seinen Tisch und frage, was er bestellen will. Er beobachtet mich den ganzen Abend, wie ich flink und gekonnt um die Tische und Stühle flitze und von bekannten Gästen geherzt und geküsst werde. Der Musiker Benjamin zieht mich während einer Pause auf seinen Schoß und legt seine Arme um mich. Ich nicke ihm lächelnd zu, was Tobias in eifersüchtige Rage versetzt. Er unterbricht unser Geturtel.
»Marie, ich möchte etwas Wichtiges mit dir besprechen. Kommst du bitte mit auf einen Spaziergang?« Entgeistert sehe ich ihn an.
»Du siehst doch, was hier los ist. Warte bis Feierabend. Dann hab ich Zeit.« Sarah steht auf, nimmt mir den Block aus der Hand und öffnet meine Schürze. Mit strengen Blick sagt sie: »Zisch jetzt ab. Ich mache hier für dich weiter!« Tobias greift meine Hand und zieht mich auf den Bürgersteig. Mit schnellen Schritten geht er mit mir in Richtung Hafenmauer.
»Würdest du dich um Clara kümmern wollen? Du bist der deutlich bessere Elternteil. Ich kenne keinen liebevolleren Menschen, dem ich sie anvertrauen könnte. Du hattest selbst den Vorschlag gemacht. Ich würde sie in den Ferien besuchen oder zu mir holen. Wenn du noch immer willst, unterzeichnen wir die Adoptionspapiere noch in dieser Woche.« Völlig überrascht schaue ich ihn an. Wie es zu diesem Sinneswandel kommt, will ich wissen.
»Du hast es selbst gesagt. Wenn ich euch liebe, dann darf ich euch nicht trennen. Und ich liebe euch, ob du es wahrhaben willst oder nicht.«
»Was willst du dafür? Wo ist der Haken? Der neue Tobias Martin geht doch nicht ohne Forderung in eine Verhandlung.«
»Ich bitte dich nur, uns zu Paul zu begleiten. Ich brauche deinen Beistand, wenn ich ihm beichte, dass du das alleinige Sorgerecht für Clara bekommen hast.«
»Du würdest mir das alleinige Sorgerecht übertragen?«
»Nie wieder sollst du befürchten, dass sie dir weggenommen wird.« Ich habe keine Worte. Lautlos wackele ich mit dem Kopf. Tobias kann es nicht als Ja und auch nicht als Nein deuten.
»Was ist nun?« Ich falle ihm um den Hals und flüstere unter Tränen: »Danke Tobi, du wirst es nicht bereuen. Ich werde dich nicht enttäuschen. Du kannst dich auf mich verlassen.« Freudestrahlend kehren wir ins Lokal zurück. Wir setzen uns zu den Residenten an den Tisch und trinken ein Glas Wein. Der rege Austausch unserer freundlichen Blicke bleibt am Tisch nicht unbemerkt. Nur deuten sie das innige Szenario falsch. Tobias ist noch lange nicht am Ziel.
»Aber auf dem besten Weg«, lobt Sarah ihn.
Worauf ich solange gewartet habe war innerhalb weniger Minuten erledigt. Mit meiner Unterschrift bin ich nun auch offiziell Claras Mutter. »Ihr Mann hat mich gebeten, gleichzeitig eine Sorgerechtsvereinbarung aufzusetzen. Ist es richtig, dass Frau Martin das alleinige Sorgerecht für Clara erhalten soll?« Tobias nickt und unterzeichnet vor mir. Auf der Straße fragt er, ob ich nun zufrieden bin und ich lächel. Gemeinsam fahren wir zu René und holen meine Sachen ab. Immer wieder blickt Tobi auf das durchwühlte Doppelbett in der Mitte des Zimmers. Eine Frage, die ihn seit seinem ersten Besuch beschäftigt, liegt ihm auf den Lippen, aber er spricht sie nicht aus.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher