Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
die Innenseite der Fenstertür: NOT FOR SALE! Mit den Briefen gehe ich zurück auf die Straße. Den wenigen Geschäften, die in der Wintersaison geöffnet haben, statte ich einen Besuch ab. Ich kaufe Brot beim Bäcker und frage den Inhaber, was er davon hält, dass am Ortseingang ein Tabledance Lokal eröffnen soll. Er teilt meine Meinung genau wie die Obst- und Gemüsefrau mit ihrem Eckladen, sowie der Schlachter, der Supermarktbesitzer und der Betreiber des kleinen Technikfachgeschäftes. Sie nehmen meine Ankündigung, Widerstand zu leisten mit großer Solidarität auf und wir verabreden uns für den Freitagabend beim Italiener zur Lagebesprechung. Tobias kommt nicht mit. Er hält meine Aktion mal wieder für völlig übertrieben. Der Bäcker Monsieur Rozier ist aktives Mitglied im Bürgerverein. Er mobilisierte die einheimischen Anwohner und sie kommen zahlreich zum Treffen, dem ich als einzige Ausländerin vorstehe. Mit meiner angestauten Wut im Bauch, halte ich eine mitreißende Rede in dem überfüllten Lokal und fordere meine Mitbürger auf, Farbe zu bekennen und die von mir vorbereiteten Plakate in ihre Fenster zu kleben. Ich kenne das Gesicht des Mannes, der sich das letzte Poster von mir aushändigen lässt. Es ist Clement, der Kommissar.
»Sind Sie beruflich oder privat hier?«
»Ich bin Bewohner dieser Stadt und gleichermaßen beunruhigt wie Sie. Wir leben hier vom Fremdenverkehr. Unsere Gäste sind Familien mit Kindern, Sportler und Naturliebhaber. Wir dulden hier weder Drogen noch Sextourismus.«
»Gibt es denn keine Handhabe von behördlicher Seite gegen sein Vorhaben? Für diese Art Nachtclub braucht er doch sicherlich eine Genehmigung?«
»Das ist das Problem. René besaß eine der wenigen Vollkonzessionen. Damit hat Sidorow einen Freifahrtschein erworben.«
»Dieser Mann betreibt illegales Glücksspiel. Ist Ihnen das bekannt?«
»Nicht nur das. Wir haben ihn schon länger im Auge.«
»Schutzgelderpressung?«
»Woher sind Sie so gut informiert? Zahlen Sie auch?« Mir rutscht das Herz in die Hose. René hatte also Recht. Mit wem habe ich mich angelegt? Ich erinnere mich an seine Warnung, schon wegen Clara vorsichtig zu sein. Besorgt gehe ich in Begleitung von Clement zu meinem Wagen.
»Die einzige Möglichkeit, ihn zu stoppen, haben Sie in der Hand. Wenn Sie Ihren Laden nicht verkaufen, wird aus seinen Umbauplänen nichts. Er braucht Ihren Platz. Die Genehmigung für den Ausbau seiner Terrasse wird er nicht bekommen. Das darf ich Ihnen schon einmal verraten.« Völlig aufgewühlt fahre ich heim. Ich stehe mit dem Wagen vor dem Tor und versuche es mit dem Sender zu öffnen. Aber es bewegt sich nicht. Als ich Vadim auf mich zukommen sehe, hupe ich laut. Er lässt sich dadurch nicht abschrecken und öffnet die unverschlossene Fahrertür meines Wagens.
»Wir hatten eine Abmachung. Du wolltest mir nicht in die Quere kommen.«
»Du solltest um unseren Ort einen großen Bogen machen und jetzt schlägst du genau im Zentrum auf. Meinen Laden wirst du nie bekommen. Auch wenn ich neben dir nicht wieder eröffnen werde. Ich habe genug Geld, dir zehn Jahre lang pünktlich die Miete zu zahlen. Genau so lange wirst auf das NOT FOR SALE schauen müssen.« Endlich kommt Tobias die Auffahrt herunter. Noch bevor er bemerkt, was sich vor seiner Tür abspielt, fährt Vadim davon. Ich erzähle es ihm in aller Ausführlichkeit. Seine Miene versteinert sich und er macht mir die größten Vorwürfe.
»Alles nur wegen deiner Sturheit. Mit deinem blinden Aktionismus bringst du uns alle in Gefahr. Clara bleibt keinen Tag länger hier. Entweder wir bringen sie nach Hamburg oder zu meinem Vater nach Genf.«
Die Wahl fällt auf Paul. Wir machen uns schon früh morgens auf den Weg. Tobias redet während der Fahrt nicht ein Wort mit mir. Erst im Beisein seines Vaters wird er gesprächig.
»Deine Schwiegertochter hat eine Bürgerinitiative gegründet und sich mit der Russenmafia angelegt. Es geht ihr um ein kleines, beschissenes, heruntergekommenes Lokal, dass sie aus unerklärlichen Gründen selber betreiben will. Weiß der Geier, warum ihr Herz so an diesem Schuppen hängt.«
»Ich entschuldige mich für die derbe Ausdrucksweise meines Mannes. Er ist zurzeit so mit seiner Ignoranz beschäftigt, dass er sein Benehmen vergessen hat.« Ich bin empört. Wie kann Tobias so über mich zu seinem Vater sprechen. Ich schnappe mir Balou und mache einen
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