Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
es mir an.« Ich mache mich auf den allerletzten Weg in die Eichenallee 17. Im Vorgarten blühen Krokusse und weiße Schneeglöckchen. Ich denke daran, wie ich die Blumenzwiebeln gemeinsam mit den Enkeln im letzten Herbst in die Erde gesetzt habe. Genau in dieser Zeit lief das Verhältnis zur männertollen Elke an. Die gelbe Blüte der Narzissen werden die jungen Einhaus genießen können. Ich hole tief Luft und gehe durch den Vorgarten zum Haus. Steffen öffnet mir wortlos die Tür. Traurig streifen wir durch die leeren Räume. Es ist nichts mehr da, was an die zurückliegende Zeit erinnert. Die beiden Kartons enthalten die gesammelten 26 Jahre unseres gemeinsamen Lebens.
»Ich nehme die Sachen mit.« Unglücklich verschließt er die Tür und sagt: »Hier hat die Liebe gewohnt.«
Nach der Beurkundung schlage ich vor, einen Spaziergang zu machen. »Wir müssen über Bruno sprechen. Es ist kein Zustand, dass der arme Hund unter unserer Trennung leiden muss. Außerdem vermisse ich ihn so sehr.« Zusammen fahren wir zu Hanna und Karl. Der Schnuffelhund hat sich unter Karls übertriebener Fürsorge zu einer dicken Fleischwurst entwickelt. Das übergewichtige Tier stürmt auf mich zu und heult in höchster Tonlage vor Freude.
»Er sieht ja aus wie ein Mastschwein!«.
»Karl füttert den Hund ständig am Tisch«, petzt Hanna.
»Das ist reiner Kummerspeck, der geht wieder weg. Seid ihr endlich wieder bei Sinnen? Wenn nicht, bleibt der Hund hier. Hanna und ich geben ihn erst wieder her, wenn bei euch wieder Vernunft eingekehrt ist«, poltert Karl.
»Halte dich daraus!«, sagt Hanna.
»Du willst mir doch wohl nicht den Mund verbieten!«
»Der Ton macht die Musik, mein Lieber!«
»Wenn dir mein Ton nicht passt, kannst du ja gehen. Das ist ja bei den Frauen in unserer Familie momentan so Gang und Gebe!« Steffen nimmt die Hundeleine und schüttelt den Kopf über seine laut streitenden Eltern.
»Komm, bloß schnell raus hier.« Er lässt den Hund auf den Rücksitz springen.
»Wald oder Heide?« Mir ist es egal, nur schnell weg.
»Wirst du das Geld nutzen, um bei Kurt und Christian einzusteigen?«
»Sie hätten mich auch ohne Beteiligung genommen. Wir eröffnen in vier Wochen. Würdest du kommen?« Ich bleibe die Antwort schuldig. Steffen entscheidet sich für eine Fahrt in den Wald. Wir laufen fast zwei Stunden über schmale Wanderwege, ohne ein Wort zu wechseln. Auf der Rückfahrt stellt er das Radio aus.
»Ist dir auch schon einmal aufgefallen, dass immer traurige Musik läuft, wenn einem das Herz schmerzt.« Ich schweige weiter. »Rede doch endlich mit mir! Frag mich, beschimpf mich, aber bitte höre auf, mich anzuschweigen. Liebst du mich noch?«
»Du weißt nicht, was du uns angetan hast. Ob ich dich noch liebe? Wenn du damit meinst, ob ich an dich denke, ob ich mich um dich sorge, mich danach sehne, von dir berührt zu werden. Dann ist es so. Wenn du aber wissen willst, ob ich dir je wieder glauben kann oder dir bedingungslos vertrauen kann, dann lautet die Antwort: Nein. Also sag du mir, was zu einer Liebe gehört.«
»Drei von fünf Punkten sind doch keine schlechte Ausgangsposition. Es gibt Paare, die müssen sich mit weniger zufrieden geben.«
»Damit wärst du zufrieden?«
»Ich bekomme seit Wochen keinen klaren Gedanken mehr zusammen. Ich denke nur noch an dich. Ich will dir zeigen, dass wir zusammen gehören. Ich werde dich nie gehen lassen, Marie. Ich will nicht ohne dich leben.« Ich! Ich! Ich! Nicht ein einziges Mal hat er gefragt, was ich will. Aber das soll er bald erfahren.
Gemeinsam bringen wir den hechelnden Hund zurück in die Mastanstalt. Bei Simon Senior herrscht gedrückte Stimmung. Karl sitzt in seinem Sessel und liest die Bildzeitung. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit, ist es wahrscheinlich, dass er die Lektüre bereits zum wiederholten Mal studiert. Hanna sitzt vor ihrem Computer und informiert sich bei Facebook darüber, wie sich ihr Enkel in Düsseldorf einlebt. Die beiden sprechen kein Wort miteinander. Ich betrachte das Paar, das nun mehr als fünfzig Jahre verheiratet ist und mir wird schlagartig klar, dass mein Leben im Alter völlig anders aussehen muss. Wenn ich jetzt voreilig wieder mit Steffen zusammen gehe, wird es aber genau darauf hinauslaufen.
»Einen Kaffee hätten sie uns ja anbieten können.«
»Ich bin froh, dass ich diese schlechte Stimmung nicht länger
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