Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Kaufen geht auch nicht. Schließlich ist sie praktisch Alleinverdienerin, da Tobi ja nur hin und wieder freiberuflich tätig ist. Außerdem ist ihr Freund nicht bodenständig genug für Eigentum. Kein Mann, um eine Familie zu gründen. Künstler! Ich blicke ihn an. Es scheint, als würden ihn die sehr privaten Ausführungen seiner Freundin nicht sonderlich stören.
»Da unser Sohn sich entschieden hat, in Düsseldorf wohnen zu bleiben, ist unser Wohnraum im Dachgeschoß noch frei. Kommt mal mit. Ich zeige euch die Wohnung.« Steffen steht auf und nimmt sich den Schlüssel aus der Schublade. Ich bin fassungslos und werfe meinem Mann einen Blick zu, der jeden Anderen auf der Stelle getötet hätte. Aber nach fast 28 Jahren ist Steffen gegen diese Art von Blicken immun.
»Toll«, höre ich Birgit durch das offene Fenster sagen. »Für achthundert kalt kommen wir ins Geschäft.« Schnell räume ich Geschirr und Gläser vom Tisch und lösche das Licht. Mit Tobias Notebook gehe ich dem Trio auf der Diele entgegen.
»Vielen Dank für die Fotos. Wenn du Zeit hast, mach mir doch eine Kopie«, verabschiede ich die Mietinteressenten und knalle die Tür lautstark hinter ihnen zu. Ich warte noch bis der Bewegungsmelder am Zaun die Außenbeleuchtung anschaltet und brülle sofort los.
»Bist du verrückt geworden? Du bietest hier unsere Wohnung an, ohne zuvor mit mir darüber gesprochen zu haben. Das ist nicht allein dein Haus, auch wenn du dich hier seit Monaten so aufführst!«
»Wie lange willst du die Wohnung denn noch leer stehen lassen? Finde dich endlich damit ab, dass die Kinder hier nicht einziehen werden.«
»Was immer wir damit vorhaben, das klären wir zusammen. Ich habe die Nase voll von deinen Alleingängen. Was wird das hier eigentlich? Seitdem wir hier wohnen, entmündigst du mich von Tag zu Tag mehr!«
Am Abend nach sechs erfolgreichen Sendestunden bricht es aus mir heraus. Zusammen mit Sarah sitze ich an der Hotelbar und trinke den dritten Gin Tonic.
»Ich glaube, ich habe einen großen Fehler gemacht. Das Leben auf dem Land habe ich mir völlig anders vorgestellt. Jetzt haben wir diesen teuren Kasten, der mein ganzes Geld verschlungen hat und ich kriege Pickel beim Gedanken daran, morgen Abend dort wieder hinfahren zu müssen. Ich bin ständig allein. Kein Schwein kommt mich dort besuchen. Mein einziger Kontakt besteht zu dieser lästigen Eingeborenen. Ich trinke Fusel aus dem Supermarkt. Meine Familie ist in alle Himmelsrichtungen verstreut. Mein Lohnhersteller fuscht ungefragt in meine Rezepturen. In meiner eigenen Firma bin ich nicht mehr erwünscht. An den letzten Sex mit Steffen kann ich mich kaum noch erinnern. Scheiße! Und für mich noch einen Gin Tonic, bitte.«
»Dann wäre Steffens Vorschlag, eure Dachgeschosswohnung an die beiden netten Leute zu vermieten, doch eine prima Idee. Du selber hast gesagt, sie wären die einzigen Normalos weit und breit. Oder hast du Angst, die Lehrerin könnte dir gefährlich werden?« Ich denke nach. Nach einer Weile greife ich mein Telefon aus der Tasche und schreibe Steffen eine Nachricht. »Nicht unter 900,00 Euro kalt. Das ist mein letztes Wort.«
Steffen und ich sind im Garten und ich rücke meine Liege in den Schatten.
»Ich darf nicht zu braun werden, dann schimpft Christa aus der Maske wieder mit mir. Ich habe bald sechs Wochen Pause. Sarah und Anke werden zum Gardasee fahren. Wollen wir nicht auch für eine kurze Zeit Urlaub machen. Mir steht wirklich der Sinn nach Tapetenwechsel.« Steffen zeigt sich erfreut über meinen Vorschlag, denn er hat bereits über ein passendes Reiseziel nachgedacht. Meine Einsilbigkeit in den letzten Tagen hat ihn zu der Überzeugung gebracht, dass ich bestimmt völlig überarbeitet bin (hahaha) und er hat vor, mit mir zu verreisen.
»Du kannst schon Koffer packen, mein Schatz. Ich lade dich eine Woche zu Li in seine Tai Chi Schule ein«, verkündet er mit großer Vorfreude.
»Du willst mit mir in den Harz? Was soll ich denn da? Da sieht es genauso aus wie hier. Wenn ich Wald, Wiesen und Felder sehen will, dann gucke ich aus dem Fenster. Ich bin doch noch nicht in Rente und fahre zum Nordic Walking in den Harz. Du hast überhaupt keinen Schimmer, oder? Nach fast dreißig Jahren hast du null Ahnung, wonach mir der Sinn steht!« Ich fluche und nehme das Kissen von der Liege und gehe ins Haus. Steffen folgt mir.
»Wohin willst du denn fahren?«
»Zum
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