Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Nordpol! Ich liebe die Kälte!« Wir beide brüllen uns laut an und setzen unseren Streit fort, der damit endet, dass Steffen zu Li fährt und ich zu Hause bleibe.
Während Steffen sich der aktiven Thai Chi Lehre zuwendet, schlage ich die Zeit in Einzelhaft tot. Ich zupfe gelangweilt die verblühten Blumen aus den Kübeln, als Tobias mir von der Straße freundlich zuruft: »Du bist doch Rosenliebhaberin, oder?« Ich lache, denn ich kenne den Spruch von den Männern, die ab einem gewissen Alter lieber Golf spielen, als Sex zu haben und von ihren zurück gelassenen Frauen, die stattdessen ihre Vorliebe für Rosen ausleben. »Das meinte ich ganz und gar nicht.« Er hat den Auftrag von einem Magazin für Haus und Garten erhalten, die blühenden Rosenfelder in Ütersen, nördlich von Hamburg zu fotografieren.
»Hast du nicht Lust, mich zu begleiten? Komm mit mir in die Wiege der Holsteiner Rosenzucht. Das ist das größte Rosenanbaugebiet in Deutschland. Das wird schön!« So wie er schwärmt, kann ich unmöglich ablehnen.
»Du sollst die Rosenfelder fotografieren und nicht ständig mich!« Die hoch gewachsenen Büsche wecken meine Neugierde und ich schnuppere an den Aprikot farbigen Blüten einer nostalgisch anmutenden Züchtung.
»Das musst du riechen! Komm schnell her. Das ist unglaublich! Ich kenne zwar den Rosenduft der bulgarischen Damascena Rose. Die dient uns als Basis für viele Parfum Kreationen. Aber das hier ist unbeschreiblich! Ein bisschen Vanille mit Apfel und Petit Grain gemischt mit tiefen Rosenaromen. Das ist unfassbar!« Tobias sieht mir durch sein Objektiv zu und dabei machte es ständig »Klick«. Der Rosenzüchter und Inhaber der Plantage kommt auf uns zu. Der Fotograf stellt uns vor und erhält Informationen zu den einzelnen Blütenständen. Ich frage ihn nach der Sorte, die meine gut geschulte Nase in so große Aufregung versetzt.
»Das ist eine neue Kreuzung. Die wird frühestens im nächsten Jahr einen Namen erhalten«, erklärt er mir.
»Da ist Ihnen aber etwas ganz Wunderbares gelungen.« Ich lobe den Rosenbauer und schaue ihn freudestrahlend an.
»Mir ist noch nie eine Frau begegnet, die sich derartig begeistern kann«, sagt Tobias und beginnt mit seiner eigentlichen Arbeit. Nach einer Stunde ist er fertig. Er lädt mich auf einen Kaffee in das Rosenpark Café ein und fragt: »Ist es eigentlich in deinem Sinne, dass wir nächste Woche bei euch einziehen?« Ich erkläre, dass ich mich darüber freue, nicht mehr allein unter Eingeborenen wohnen zu müssen. Ein bisschen Frischblut sollte dem Ort ganz gut tun. Und dass Steffen ganz Recht damit gehabt hatte, das Dachgeschoss nicht länger frei stehen zu lassen. Tobias zahlt beim Kellner und bittet mich, am Auto auf ihn zu warten. Mit einer Topfrose in der Hand kommt er zurück.
»Zu dem Namen Marie konnte ich den Züchter nicht überreden, aber ich habe ihm ein Exemplar für dich abgeschwatzt.« Er legt die Aprikot farbige Duftrose vorsichtig in den Kofferraum und ich bin völlig gerührt.
Die neuen Mieter wohnen schon seit Wochen über uns und Steffen wartet vergeblich auf eine Einladung zum Einstand.
»Die merkt man gar nicht«, ist sein kurzer Kommentar.
»Kein Wunder! Du bist ja auch nur noch zum Schlafen hier.« Ich kann mich nicht beschweren. Mein Kontakt ist rege. Allerdings nur zu Tobias. Wir essen regelmäßig zu Mittag zusammen. Mal bekocht er mich, mal überrasche ich ihn. Es ist immer ein großer Spaß, wenn wir unser kulinarisches Ratespiel veranstalten und versuchen, die einzelnen Gewürze und Kräuter mit geschlossenen Augen herauszuschmecken. Ich liebe es, mich mit ihm zu unterhalten. Dieser Mann ist nicht nur ein guter Zuhörer. Er versteht es auch, spannend und lustig zu erzählen. Er ist wie ich ein Schöngeist und bringt mich immer zum Lachen und Staunen. Besonders emotional war es, als er mir seine alte Fotostrecke aus Südfrankreich zeigte. Beim Anblick von Lavendelfeldern kreischte ich vor Entzücken. Nachmittags verziehen wir uns meistens in die Zivilisation. Nach unseren Ausflügen kehren wir bei Kerstin und Herbert auf ein Glas Wein ein und tanken eine Portion Süden.
Meinen Geburtstag verbringe ich in Berlin. Über den Tag verteilt absolviere ich vier Sendungen. Das ist nicht tragisch, denn Frederik und Valium sind gerade mit dem Umzug in die gemeinsame Wohnung beschäftigt und haben keine Zeit für einen Besuch. Nadja hat einen neuen Freund und gratuliert mit
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