Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
»Nein, aus Gosslar. Gosslar im Harz«, sagt Li und alle lachen laut. Ulli kann die Finger nicht von Sophie lassen und sie beschließen, schnellstens das Fest zu verlassen.
»Alles massiv«, brüllt Karl, als er Bob dem Baumeister die offenen Balken im Wohnzimmer zeigt.
»Das war ein schönes Fest«, resümiert Steffen, als auch der letzte Gast gegangen ist.
»Frederik will mit der Schlaftablette zusammen ziehen!«
»Kümmere dich doch endlich mal nur um uns«, klagt mein Mann. Er nimmt mich in den Arm und zieht mich ins Schlafzimmer.
»Aufräumen kannst du auch morgen noch!« Der Hausherr legt sich ins Bett und schläft sofort ein.
Steffen startet morgens regelmäßig kurz vor halb sieben in Richtung Hamburg. Er will den Stau vor dem Elbtunnel umgehen und zieht es vor, mit seinen Kollegen im Gesundheitshaus zu frühstücken. Zurück kommt er meist nicht vor halb neun Uhr am Abend.
»Das ist die beste Zeit, um dem Rückstau aus dem Wege zu gehen.« An meinen freien Tagen versuche ich den Garten zu genießen. Aber spätestens nach einer halben Stunde, nehme ich mein Buch und den Kaffee und fliehe vor der Fliegenschaar wieder ins Hausinnere.
»Ja, die Fliegen sind im Sommer schon lästig. Aber man gewöhnt sich dran«, sagt Ursel, die mir wie jeden Morgen am Briefkasten auflauert. Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass ich mich nie daran gewöhnen werde. Angeekelt greife ich zum Telefon und rufe einen Stadtmenschen an.
»Du kannst mich für die nächsten Kundenberatungen einteilen, Maike.«
»Ich denke, das ist keine gute Idee«, sagt die neue Assistentin der Geschäftsleitung zu mir, »Frau Wagenstädter meint auch, dass sie aufgrund Ihrer Popularität im TV für den Fachbereich nicht mehr so glaubwürdig sind. Keine Sorge Frau Simon, wir haben hier alles gut im Griff!« Ich schlucke. Hat meine ehemalige Aushilfe und Bürokraft mir soeben den Kontakt zu Neukunden untersagt? Mir ist danach, laut loszuschreien. Weil es aber Dienstag ist und ich weiß, dass ich damit nur die Aufmerksamkeit der Landfrauen auf mich ziehe, beschließe ich meinen Ärger anders loszuwerden. Auf meinem Elektrofahrrad radele ich ohne motorische Unterstützung mit Bruno durch den Wald. Unterwegs treffe ich auf Birgit und Tobias. Beide kommen mir im Dauerlauf entgegen. Birgit erzählt, dass sie die Planstelle fest hat und sie nun endlich die Zelte in Hannover abbrechen können.
»Wann darf ich dir die Fotos zeigen?«, fragt Tobias, der im Vergleich zu Birgit weder verschwitzt noch außer Atem zu sein scheint.
»Kommt doch irgendwann auf ein Gläschen vorbei. Ich bin meistens zu Hause.«
Ich habe frisches Roggenbrot und Wurst aus eigener Hausschlachtung beim Bio Bauernhofladen im Nachbarort eingekauft und schmiere Brote, als es klingelt. Da ich eigentlich auf Steffen warte, bin ich erstaunt, Birgit und Tobias vor der Tür stehen zu sehen.
»Dürfen wir dich noch überfallen oder ist es dir schon zu spät?« Nein, ich freue mich. Besuch kommt in der Regel selten vor. Für einen kurzen Plausch will keiner unserer Verwandten oder Bekannten mehr vorbei kommen. Der Weg ist ihnen zu weit. Selbst Hanna und Karl halten nur noch telefonischen Kontakt. Ich bitte die beiden Überraschungsbesucher herein und schlage vor, im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Tobias klappt sein Notebook auf und zeigt seine Aufnahmen in einer Diapräsentation. Ich mit einer Weinflasche in der Hand, mit Sarah lachend, mit vollem Mund, die kleine Lillie auf dem Arm haltend, wie ich von den Zwillingen geküsst werde, ich allein im Sessel kauernd.
»Das ist mein Lieblingsbild«, sagt er. Da bin ja überall nur ich drauf zu sehen, bemerke ich und sehe Tobias verwundert an.
»Eigentlich ist Tobi auf Architektur und Landschaftsfotographie spezialisiert«, sagt Birgit, »aber du scheinst ihn inspiriert zu haben.«
»Oh, wie schön, wir haben Besuch!« Steffen, der diesmal noch länger als üblich auf das Stauende gewartet hat, stellt die Platte mit Schnittchen auf den Tisch und holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank. »Greift zu! Marie macht immer mehr als nötig. Das sage ich ihr schon seit Jahren. Aber hört sie auf mich?« Ich bin erbost.
»Bin ich ein Hund, der auf dich hören soll?« So langsam geht mir die Ausdrucksweise meines Mannes gehörig gegen den Strich. Birgit ergreift das Wort und erzählt von ihren Umzugsplänen. Zur Miete ist es fast unmöglich in Hamburg, klagt sie.
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