Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Tagen meine Zelte abbrechen. Ich habe Verpflichtungen meiner Familie und auch dem Sender gegenüber. Wir wollten Weihnachten alle zusammen feiern. Ich habe die Enkel seit Wochen nicht gesehen.« Er stellt sein Sektglas ab. Die Feierlaune ist ihm nach dieser Aussage gründlich vergangen. Belle und Robert klopfen an die Tür. Sie sind gekommen, um Tobias zu gratulieren.
»Ich schenke euch gern ein Glas Sekt ein, aber einen Anlass zur Freude, gibt es nicht. Marie hat mir gerade eröffnet, dass sie nicht mitkommen wird«. Die Enttäuschung steht ihm ins Gesicht geschrieben.
»Zu meiner Zeit, wusste eine Frau noch, wo ihr Platz ist«, sagt Robert und sieht mich verständnislos an.
»Mein Mann trauert noch immer den fünfziger Jahren hinterher. Willkommen im 21. Jahrhundert, Robert«, sagt Belle und kann sich ihr Grinsen nicht verkneifen.
»Ich verstehe dich nicht, Marie. New York ist toll und wird auch dir viele neue Inspirationen geben.«
»Lass es gut sein, Robert. Das hier ist eine Frage des Stellenwertes. Ich rangiere leider nur auf Platz drei, vor mir stehen Steffen und der Nachwuchs und danach kommt der Sender.« Bestürzt schaue ich auf den Boden. Zu gern möchte ich Tobias sofort widersprechen, aber im Beisein unserer Nachbarn, sage ich kein Wort. Isabelle fordert ihren Mann auf, mit ihr nach Hause zu gehen. Sie spürt, dass sie bei einer klärenden Aussprache nur stört. Eine nötige Unterredung findet zwischen uns beiden nicht mehr statt. Tobias schmollt auf dem Sofa und ich weine mich im Bett in den Schlaf.
»Ich komme Silvester nach«, verspreche ich unter Tränen. Bis dahin muss ich alles geregelt haben. Wir beide wissen, dass schwere vier Wochen vor uns liegen. Noch nie waren wir zuvor solange voneinander getrennt.
Hanna richtet das Weihnachtsfest aus und ich reise bereits am 22. Dezember an. Ich gehe meiner Schwiegermutter helfend zur Hand und erfahre bei dieser Gelegenheit, dass Steffen wieder solo ist. Petra hat sich nach der Räumung des Landhauses verabschiedet. Hanna gibt noch immer nicht die Hoffnung an unsere Wiedervereinigung auf. Auch das Belauschen der liebevollen Telefongespräche zwischen Tobias und mir, ändert ihre Haltung nicht. Die ganze Familie Simon ist vollzählig. Hanna hat auch Ellen, Sophie und Ulli dazu gebeten. Nach dem Essen und der Bescherung winkt Steffen mich heraus. Er will einen kurzen Spaziergang mit mir unternehmen, um mir in aller Ruhe etwas Wichtiges zu erzählen.
»Ich habe dir auf deine Frage nach Birgit nicht die Wahrheit gesagt«, beginnt er. Ich bin erleichtert. Tobias hatte also Recht. Steffen hatte sich die ganze Geschichte nur ausgedacht, um Unfrieden zu stiften.
»Wir pflegten regelmäßigen Kontakt. Sie hatte ja sonst niemanden. Birgit ist am 10. Dezember bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Sie verstarb bei der Massenkarambolage auf der A7. Vielleicht hast du es im Fernsehen gesehen. Dort krachten wegen starken Nebels über zwanzig Fahrzeuge zusammen. Ich habe nur davon erfahren, weil sie nicht wie verabredet zu unserem Treffen erschienen ist. Der Leiter ihrer Schule hat mir gesagt, was passiert ist. Seitdem ist die kleine Clara in einer Pflegefamilie untergebracht. Ich erzähle es dir, weil das Jugendamt auf der Suche nach dem leiblichen Vater ist. Ich habe Tobias bisher noch nicht ins Spiel gebracht. Ich wollte erst mit dir reden.«
»Warum hast du solange geschwiegen. Tobias hat alles Mögliche angestellt, um sie zu finden.«
»Marie, er hat dich angelogen. Tobias hatte längst Kontakt. Es stimmt, er wusste nichts von ihrer Schwangerschaft. Birgit hatte es ihm bewusst verheimlicht. Aber über Claras Geburt, war er informiert. Seitdem zahlte er jeden Monat pünktlich den Regelsatz an Unterhalt. Tobias kannte sehr wohl ihre Adresse. Er besuchte Clara dort, zweimal in zweieinhalb Jahren.« Diese Information verschlägt mir die Sprache. Ich habe genug gehört. Nach einem doppelten Digestif buche ich den nächsten Flug nach New York. Nie wieder soll mir jemand vorhalten, dass ich mich nur mit einem Zweizeiler aus einer Verbindung verabschiedet habe.
Vor dem JFK Airport besteige ich ein Yellow Cap Taxi und gebe dem Fahrer einen Zettel mit der Adresse des Ateliers. Es ist der erste Weihnachtstag um 12 Uhr Ortszeit, als Tobias mein unerwartetes Erscheinen, als größtmögliche Weihnachtsüberraschung lobt. Er führt mich durch das Loft und zeigt mir den Wohnbereich, der von nun an unser neues
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