Ausgefressen
Ermittler« vor und bittet Phil, mit ihm zu kommen – wegen seiner Aussage. Phil wirft mir einen letzten Blick zu und macht mit der Hand eine Ihr-müsst-weitergraben-Geste.
»Geht in Ordnung«, rufe ich ihm hinterher, »aber langsam wird’s teuer!«
Kapitel 6
Der Clan ist gespalten. Auf der einen Seite: Rita, unsere Mutter. Ihre Angst vor dem Eintritt ins digitale Zeitalter hat aus ihrem Gesicht ein analoges Trauerspiel gemacht. Solange es nur um Lebendessen und die gemeinsame Sache ging, war sie noch ganz euphorisch. Jetzt aber, wo Stimmen nach einem Kino und tragbaren Mp 3 -Playern laut werden, wird sie von einer ruhelosen Sorge umgetrieben: Es war doch immer alles gut, so wie es war. Solange es all das Elektronikzeug noch nicht gab, hat es auch keiner vermisst. Wir haben doch uns, wozu brauchen wir da Spielkonsolen? Das also ist die eine Seite.
Die andere ist: alle anderen, wir, ihre Kinder. Rufus’ Vision von einem Leben mit, wie er sagt, »extrem hohem Freizeit- und Bildungswert« hat insbesondere die Jüngeren in einen rauschhaften Taumel versetzt. Dass es dabei eher der extrem hohe Freizeit- als der Bildungswert ist, der besagten Taumel verursacht, bedarf, glaube ich, keiner weiteren Erklärung. Die Kinder aus dem fünften Wurf wollen eine Xbox, die aus dem vierten ein Kino, die aus dem dritten eine Techno-Lounge inklusive Darkroom. So viel zum Bildungswert. Mas Einwand, dass doch alle unsere Zimmer Darkrooms seien, interessiert keinen.
So stehen Rufus und ich an diesem Abend vor dem versammelten Clan auf der Bühne des großen Saals und haben leichtes Spiel. »Wir müssen tiefer graben«, rufe ich, »in größeren Dimensionen denken! Die Zukunft gehört uns – aber nur, wenn wir sie selbst bestimmen!«
Es sind hohle Worte, doch ich bringe sie mit solcher Überzeugungskraft vor, dass ich selbst ganz überwältigt bin. Anscheinend muss ich nur an Elsa und Giacomo denken, und schon lodert in mir die brennende Leidenschaft auf, mit der ich bei meinen Zuhörern die notwendige Begeisterung entfachen kann. Es ist verlogen und falsch. Auf der anderen Seite ist es … professionell. Und das ist es, was ich sein will: ein Profi. Als ich geendet habe, kocht die Menge, und meine Geschwister können es gar nicht mehr abwarten, endlich mit dem zu beginnen, wozu uns die Natur ohnehin zwingt: zum Graben. Nur einer ist dabei, der nicht vor Begeisterung, sondern vor Neid, Missgunst und Vergeltungswut kocht: Rocky. Ich sehe es daran, wie seine Kiefer aufeinander reiben. Vor ihm werde ich mich in Acht nehmen müssen. Er ist einfältig, doch das heißt nicht, dass er mir nicht gefährlich werden könnte. Auf jeden Fall wird er nicht tatenlos zusehen, wie ich ihm weiter den Rang ablaufe und Roxane mich anhimmelt. Einen Moment lang koste ich den Applaus noch aus, dann übergebe ich das Wort an meinen künftigen Staatssekretär: Rufus.
Der hat natürlich längst einen Plan ausgearbeitet und Schautafeln vorbereitet. Die Idee ist folgende: Die Leiche, nach der wir suchen, ist am ehesten im Umkreis der ersten Fundstelle zu vermuten. Daher werden die einzelnen Teams systematisch das bestehende Grabungsgebiet ausdehnen, und zwar in vertikaler sowie in horizontaler Ausrichtung.
Rocky sieht aus, als habe er sein eigenes Gehirn gefressen, also erklärt Rufus: »Wir werden uns in die Breite und in die Tiefe vorarbeiten. Systematisch. Das heißt: nach einem festgelegten Plan.« Er richtet seine Diode auf die Schautafel, die er mit roten und grünen Pommesgabeln an die Wand gepinnt hat und die wie ein Plan zum Knacken eines Hochsicherheitstresors anmutet. Ein Strohhalm in leuchtendem Pink dient ihm als Zeigestock. »Grabungsteam Drei beginnt mit der Minus-zwei-Ebene«, erklärt er und deutet auf ein Areal unterhalb der Fundstelle. Ich wusste ja, er würde alles, was sich nicht wehren kann, mit Nummern versehen. »Zunächst die Kammern zwei a bis d. Grabungsteam Vier erweitert währenddessen das bestehende Gebiet auf der Minuseins-Ebene. Wir fangen an mit den Räumen f, h und k. Die zentrale Leitstelle wird unter dem Flamingohaus eingerichtet. Dort wird zu jeder Zeit ein Mitglied des Überwachungsteams anzutreffen sein. Jeder Fund ist unverzüglich zu melden. Dasselbe gilt für Störungen. Sämtliche Asservate werden in einer Kammer verwahrt, um deren Aushebung sich Team Zwei kümmern wird. Dieser Saal wird nach Beendigung der Mission in einen Kino- und Theatersaal umgewandelt werden, weshalb der Boden, wie hier zu sehen, schräg
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