Ausgefressen
Worten: »Mann, siehst du scheiße aus.«
»Sonst noch Neuigkeiten?«, entgegne ich.
»Ich fürchte ja.«
»Als da wären?«
Phil nimmt seine Brille ab. Und der Typ glaubt,
ich
sehe scheiße aus. »Seit ich dich kenne«, sagt er, »wird mein Leben von Tag zu Tag komplizierter.«
»Was soll ich sagen: Mir kommen die Tränen.«
»Die Leiche …« Phil blinzelt in die Sonne, als frage er sich, was er hier eigentlich zu suchen hat – in diesem Zoo, in dieser Stadt, auf diesem Planeten. »Es ist nicht Hanno von Sieversdorf.«
Ich sage nichts, sondern beobachte, wie drüben, auf der anderen Wegseite, ein großer Sack mit Reißverschluss auf eine vierfüßige Bahre gehievt wird. Ich erwähne das, weil mir in dem Moment, da die Trage angehoben wird, plötzlich klar wird, weshalb ich heute Morgen, als meine Welt noch in Ordnung war, in Gegenwart der Leiche das unbestimmte Gefühl hatte, da stimme etwas nicht.
»Das, was du gerade anstarrst«, fährt Phil fort, »ist die Leiche von Atze Neumann, dreiundvierzig Jahre alt, Raubtierpfleger und außerdem Lebensgefährte unserer hübschen Eisverkäuferin Bea.« Gemeinsam blicken wir der Bahre nach, die an Phil vorbei zur Absperrung getragen wird, wo sie bereits von einem Pulk aus Fotografen erwartet wird. »Weißt du, was ich glaube?«, fragt Phil.
»Das Blut«, antworte ich.
»Ich glaube, dass wir es hier mit zwei Fällen zu tun haben. Und dass mich einer davon überhaupt nichts angeht. Und jetzt hätte ich gerne mein Smartphone zurück. Die Bücher könnt ihr von mir aus behalten.«
»Sorry, aber du liegst falsch«, überlege ich. »Wenn du glaubst, dass die Fälle nichts miteinander zu tun haben, meine ich.«
Inzwischen ist die Bahre vom Pulk der Presseleute verschluckt worden, und Phil hat wieder seine Sonnenbrille auf. »Und wie kommt unser Erdmännchen-Schlaumeier zu diesem Schluss?«
»Heute Morgen – als ich die Leiche so präpariert habe, dass die Finger aus der Erde gucken –, da hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, das etwas nicht stimmt. Eben ist es mir eingefallen: das Blut.«
»Das Blut.«
»Ja, Mann: Das Blut, das an den Servietten war, die du mir zum Beschnuppern gegeben hast. Es war nicht das von der Leiche.«
Phil legt die Stirn in Falten. Um ehrlich zu sein: Er macht ein Gebirge daraus. »Bisher hatte ich: einen verschwundenen Industriellen-Opa, eine verschwundene Eisverkäuferin und einen verschwundenen Raubtierpfleger.« Aus seinem Faltengebirge wächst eine Zugspitze heraus. »Bis heute Morgen sah es so aus, als hätten die Eisverkäuferin und ihr Raubtierpfleger den Industriellen geködert, ausgenommen und entsorgt und sich dann mit der Kohle aus dem Staub gemacht.«
Ich erspare mir einen Kommentar. Schließlich sah es bis heute Morgen auch noch so aus, als hätte ich eine rosige Zukunft vor mir.
»Jetzt«, redet Phil weiter, »sieht es auf einmal so aus, als sei nicht der Alte, sondern der Raubtierpfleger entsorgt worden … Das Blut, das ich im Eiswagen gefunden habe, stammt jedoch ganz sicher« – er wirft mir einen prüfenden Blick zu, und ich nicke bestätigend – »
nicht
von Atze. Da es aber, wie du gesagt hast, von einem Mann stammt, stammt es aller Wahrscheinlichkeit nach von Hanno von Sieversdorf.«
Ich ziehe die Schultern hoch. Schlauer bin ich jetzt auch nicht.
»Es ist, wie ich gesagt habe: Seit ich mit dir zu tun habe, wird mein Leben jeden Tag komplizierter. Es ergibt keinen Sinn, Ray. Außer …« Inzwischen sind seine Stirnfalten definitiv nur noch mit einem Dampfbügeleisen herauszubekommen. »Außer, Bea und Atze hatten unterschiedliche Pläne. Erst legen sie den alten Sieversdorf um und vergraben ihn. So weit, so klar. Doch dann, wo sie gerade dabei sind und Atze noch das Loch zuschaufelt, erkennt Bea ihre einmalige Chance, nicht nur ein neues Leben zu beginnen, sondern auch gleich noch ihren Typen loszuwerden. In dem Fall müsste die Leiche von Hanno von Sieversdorf …«
»… noch unter der Erde liegen«, kombiniere ich.
Von hinten nähert sich der Mann, dem der Zoodirektor vorhin seinen Verlust vorgerechnet hat. Aus der Nähe betrachtet, sieht er ganz gemütlich aus: zerbeultes Jackett, Bauchansatz, mehr Glatze als Haare auf dem Kopf, nicht aus der Ruhe zu bringen. Einer, der abends nach Hause kommt und sich freut, wenn seine Frau ihn fragt: »Wie war dein Tag, Schatz?«, und er antworten kann: »Wie immer: Ein paar Leichen und eine Menge Fragen.«
Er stellt sich als »Heinz Lossow, leitender
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