Ausgefressen
verläuft. Und jetzt: An die Arbeit!«
Im Handumdrehen verwandelt sich unser Bau in einen Hort emsiger Betriebsamkeit. Rufus’ Logistik ist vorbildlich. Nahezu reibungslos wird eine unterirdische Großbaustelle eingerichtet. Zwar gräbt jeder in eine andere Richtung, weil der vierte Wurf, selbst wenn er zu lesen imstande wäre, niemals f, h und k auseinanderhalten könnte. Doch am Ende geht es auch nur darum, dass die einen in die Breite und die anderen in die Tiefe graben. Rufus und ich beziehen die Leitzentrale und koordinieren die Grabungsteams. Ein überschaubarer Job. Denke ich. Wie sich herausstellt, gibt es jedoch eine Menge für uns zu tun. Ständig kommt jemand mit einem vermeintlich wichtigen Fund herein: Kronkorken, das Zifferblatt einer Armbanduhr, ein Plastikfeuerzeug, das Rad eines Kinderwagens, etwas, das wie ein Plastik-U-Boot aussieht und von meinem Bruder als Unterschenkelprothese identifiziert wird. Rufus, der am liebsten sogar die in den Käfig geworfenen Kaugummipapiere sammeln, sortieren und durchnummerieren würde, wächst über sich hinaus. Das Einzige, was ihm zu seinem Glück fehlt, sind: »Headsets. Wir brauchen drahtlose Kommunikation zu sämtlichen Grabungsteams. Wenn unsere Mission erfolgreich ist, wird Phil bluten müssen.«
Mein kleiner Bruder: Kann keiner Maus etwas zuleide tun und pinkelt sich voll, sobald eine Krähe über den Weg hüpft – und jetzt steht er da wie in seinem eigenen Western und sagt: »Dafür wird er bluten müssen.« Lass ihn, denke ich, solange er keinen Schaden anrichtet.
Das mit dem Schaden besorgen schließlich andere. Grabungsteam Drei – die Kinder aus dem vierten Wurf. Und ohne mich jetzt loben zu wollen, muss ich sagen, dass ich den ganzen Nachmittag über bereits das Gefühl habe: Wenn irgendetwas schiefläuft, dann bei Team Drei. Seit Nino, Nick, Nadja und Natalie die Leiche gefunden haben, scheinen sie entschlossen, ihren Ruf als Grabungshelden um jeden Preis zu verteidigen. Da sie in die Tiefe graben sollen, schleppen sie, je weiter der Tag voranschreitet, immer merkwürdigere Sachen an. Anfangs sind es noch ganz gewöhnliche Dinge: ein alter Toaster und eine blaue Plastikflasche mit der Aufschrift »Pril«, von der Rufus meint, da fehle das »A« am Anfang. Dann wird es zunehmend kurioser: ein altes Benzinfeuerzeug, Münzen mit komischen Kreuzen drauf, verschnürte Dokumente mit der Aufschrift » NSDAP «.
»Wie tief wollen die denn noch graben?«, überlegt Rufus.
Er will gerade losgehen, um Team Drei zurückzupfeifen, als Nino hereinstolpert und eine altertümliche Trainingshantel fallen lässt, unkontrolliert mit dem Kopf zuckt, kurz mit den Augen rollt und wieder verschwindet. Ich könnte schwören, Team Drei ist schon wieder gesammelt auf Traubenzucker.
Ich will die Hantel aus dem Weg räumen, als Rufus mich anschreit: »Nicht anfassen!« Er rennt an mir vorbei in den Gang. »Nino!« Der ist schon weg. Traubenzucker macht schnelle Beine. »Wir haben einen Zehn-dreizehn!«, brüllt er den Gang hinunter. Dann, in die andere Richtung: »Wir haben einen Zehn-dreizehn!!«
»Wir haben was?«, frage ich.
Bang, bang, bang, bang, bang. So, wie Rufus sich auf die Ohren schlägt, müsste er eigentlich sofort k.o. gehen. »Einen Zehn-dreizehn!«, brüllt er mich an. »Und wir brauchen Headsets!«
»Was ist ein Zehn-dreizehn?«, frage ich.
Seine Augen treten aus den Höhlen: »Wozu hab ich eigentlich im Versammlungssaal die ›Rules and Regulations‹-Tafel aufgehängt!?«
»Weiß ich doch nicht. Außer dir kann hier keiner lesen.«
Bang, bang, bang! Aua. Noch so ein Ding, und er kann sich selber auszählen. »Ein Zehn-dreizehn«, trompetet er, dass mir die Ohrmuscheln flattern, »ist ein externer Angriff, der den Grundbestand der Sippe gefährdet!«
»Und das heißt?«
»Was das HEISST ?« Bang, bang, ba-ba-bang! Rufus beginnt zu taumeln. Der Lichtkegel seiner Leuchtdiode tanzt über die Decke. Langsam tut er mir wirklich leid. »Der Bau ist vollständig zu evakuieren – unverzüglich«, stößt er hervor.
Ich überlege, ihn zu fragen, weshalb wir eigentlich einen Zehn-dreizehn haben, aber ich fürchte, dann reißt er entweder mir oder sich selbst den Kopf ab. Also sage ich: »Ich sag Rocky Bescheid.«
Doch dazu kommt es nicht. Denn als ich mich zum Gehen wende, steht Nick im Eingang, mit Pupillen so groß wie Bowlingkugeln. »Scheiße Mann«, sagt er.
Ich zähle im Geiste von zehn rückwärts, doch als ich bei null ankomme, ist
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