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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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hat sie sich nur in Shape gebracht für … Giacomo!
     
    Es ist bereits Mittag, und ich bin kurz davor, meine in Tränen gebadeten Klauen abzukauen, als Rufus hereinkommt: »Phil ist da.«
    »Was für ein Phil?«
    Rufus richtet seine Leuchtdiode auf mich. »Ach du Scheiße: Was ist denn mit dir los?«
    »Mach deine scheiß Funzel aus – das ist mit mir los.«
    Rufus fingert an seinem Stirnband herum und dreht seine Diode nach hinten. »Was für ein Phil?«, wiederholt er meine Frage. »Der Privatdetektiv-Phil, für den wir gestern den Grünstreifen zwischen Flamingohaus und Elefantengehege in eine Tiefgarage verwandelt haben. Du erinnerst dich?«
    Ich presse mir die Klauen auf die Schläfen. Phil. Das traurige Leinensakko. »Flüchtig«, knurre ich. Meine Gedanken sind woanders. Mein ganzes Selbst ist woanders. Elsa. Und Giacomo. Meine Zunge fühlt sich an, als hätte ich einen Tampon im Maul. Nicht einmal schlucken kann ich mehr. »Wie heißt noch mal der Typ, der bei den Griechen goldene Pfeile verschießt und damit reihenweise Leute in den Wahnsinn treibt?«, frage ich.
    »Meinst du Eros?«
    »Eros, der war’s. Verschlagener, niederträchtiger, heimtückischer, kleiner …« Mir gehen die Worte aus.
    »Hundsfott?«, schlägt Rufus vor.
    Ich blicke meinen Bruder an, als müsse einer von uns beiden den Verstand verloren haben, und als sei nicht ich derjenige.
    »Ein veraltetes Schimpfwort«, erklärt Rufus, »bezeichnet einen Schuft. Wörtlich übersetzt meint es allerdings das Geschlechtsteil einer Hün…«
    »Rufus!«
    »Ray?«
    »Keine Vorträge!«
    »Okay.« Er vibriert auf der Stelle. Dann haut er sich wie gewohnt seine Klaue aufs Ohr.
    »Und hör auf, dir ständig aufs Ohr zu hauen!«, schnauze ich ihn an.
    Er klemmt sich die Vorderpfoten zwischen die Hinterbeine. »Okay.«
    »Und jetzt lass mich allein.«
    »Okay.« Er hat sich bereits umgedreht, weshalb mir seine Leuchtdiode schon wieder volle Breitseite ins Gesicht funzelt, da fällt ihm ein, weshalb er gekommen ist: »Phil ist da!«
    »Sagtest du bereits. Was will er?«
    »Mit dir sprechen. Draußen ist die Hölle los. Sie haben die Leiche ausgegraben.«
    »Und warum?«
    »Warum sie die Leiche ausgegraben haben?«
    »Warum Phil mit mir sprechen will?«
    »Ach so – er will die Sachen wiederhaben. Das Smartphone, die Bücher …«
    Die Information lähmt mich wie der Biss einer Puffotter. Ja, ich weiß: Ich bin noch nie von einer gebissen worden. Aber wer mit meinem Vater groß wird, der muss sich so oft anhören, wie das ist, von einer Puffotter gebissen zu werden, dass es ihm irgendwann in Fleisch und Blut übergeht. Was für ein Tag, überlege ich: Erst verliere ich Elsa an einen italienischen Pelzbeutel, der auf den Namen Giacomo hört, dann verliere ich meine Zukunft als Clanchef, weil Phil seine Bezahlung zurückfordert … Als ich diesmal meinen Bruder anblicke, glaube ich selbst, dass doch ich derjenige bin, der den Verstand verloren hat.
    Rufus sieht sich um, als sehe er meine Kammer zum ersten Mal. Der Lichtkegel seiner Diode gleitet nervös über die Wände. »Er sagt, wir hätten ihm die falsche Leiche geliefert«, zischt er schließlich.
     
    Rufus hat ausnahmsweise mal nicht übertrieben. Draußen ist tatsächlich die Hölle los: Uns reichen ein paar Erdmännchen aus dem vierten Wurf, um eine Leiche zu finden, aber die Menschen brauchen offenbar zwei Dutzend Uniformierte, um sie auszubuddeln. Überall glänzen rot-weißgestreifte Bänder in der Sonne, der Zoo bleibt bis auf weiteres geschlossen. Menschen in Astronautenanzügen füllen Bodenproben in Reagenzgläser, fotografieren die Fundstelle und stecken nummerierte Schildchen ins Blumenbeet. Die Absperrbänder scheinen in erster Linie dem Zweck zu dienen, ignoriert zu werden. Jedenfalls tummeln sich mehr Menschen innerhalb der Absperrung als außerhalb.
    Auch die Tiere sind ganz aus dem Häuschen: Die Affen hängen in Trauben am Käfiggitter, die Flamingos schnattern, was das Zeug hält, die Antilopen und Steinböcke wetzen vor Aufregung ihre Geweihe. In Hörweite steht der Zoodirektor mit einem Mann zusammen, der zu den wenigen gehört, die nicht verkleidet sind. Während er sich wiederholt die Schweißperlen aus der Stirn wischt, rechnet er seinem Gegenüber den Verlust vor, den jede Stunde ihm beschert, die sein Zoo geschlossen bleibt. Solange er sich Giacomo leisten kann, denke ich, kann es dem Zoo so schlecht nicht gehen.
    Phil erwartet mich am Zaun und begrüßt mich mit den

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