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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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dahinter zwei, dahinter drei.
    Rocky beeindruckt dieses Schauspiel nur mäßig. »Was issn das für ein Dreck?« Angeekelt hält er seine Nase über ihr Fressen. »Falafel?« Mit einer schwungvollen Bewegung kickt er die Teigtasche samt Inhalt in die stinkende Brühe, die unter uns entlangfließt. »Wisst ihr, was der Unterschied zwischen mir und euch ist?«
    »Da bin ich aber gespannt«, flüstere ich.
    »Ich«, brüllt Rocky, »bin Fleischfresser!«
    Er hat das Wort noch nicht zu Ende gebracht, da hat sich bereits die erste Ratte auf ihn gestürzt, während die zwei hinter ihr Stehenden ihn von rechts und links anspringen. Für einen Moment ist im Widerschein Rockys Silhouette zu sehen: Wie in Stein gehauen steht er da und gibt ein urgewaltiges Brüllen von sich, wankt, fällt aber nicht, und schwört, dass er die Falafel gleich aus ihnen herausprügeln wird. Doch kaum hat er sich der ersten drei Ratten entledigt, wirft sich mit einem schrillen Schlachtruf die dritte Angriffsreihe auf ihn und bringt ihn zu Fall.
    In dem brodelnden Knäuel aus sechs Ratten und einem Erdmännchen ist nicht viel zu erkennen. Ein Bein zuckt durch die Luft. Könnte zu Rocky gehören – oder gehört haben. Ist aber nicht sicher. Schreie und ein wildes Durcheinander fauchender Stimmen erfüllen den Tunnel. Der Lichtkegel von Rockys Stirnlampe fliegt umher. Eine der Ratten wird in den Kanal gestoßen, kriecht aber im nächsten Moment wieder heraus.
    »Sieht nicht gut aus«, flüstere ich.
    In dem Moment hören wir unseren Bruder brüllen: »Wieso funktioniert dieses Scheißding nicht?«
    »Der Kippschalter, Rocky!«, ruft Rufus voller Verzweiflung. »Der Kipp…«
    Fffapppp! Von einem finalen Quietschen begleitet, fliegt eine wie von innen erleuchtete Ratte in einem vollendeten Bogen durch den Tunnel und landet mit sanftem Platschen im Wasser. »Hab ihn!«, ruft Rocky, und fffapppp! folgt der ersten Ratte eine zweite. »Yiihaaa!« Fffapppp, ffffapppp – Nummer drei und vier. Die fünfte Ratte flieht, die sechste stürzt sich freiwillig in den Kanal.
    Rocky kommt auf die Beine und schüttelt sich. Im schwachen Schein ihrer eigenen Glut treiben nacheinander vier Ratten mit dampfendem Fell, heraushängender Zunge und aufgeplatzten Augen unter uns vorbei, den Bauch nach oben. Kein schöner Anblick.
    »Scheint noch funktionstüchtig zu sein«, bemerkt Rufus.
    Rocky hat sich wieder gesammelt. »Dann kann’s ja losgehen!«, ruft er der geflüchteten Ratte nach. Er folgt ihr bis zur nächsten Abzweigung, dann verschwindet sein Lichtkegel hinter der Biegung. Im nächsten Moment erschallt seine Stimme wie aus einer anderen Welt: »Hallo, Freunde – schön, dass ihr alle da seid!«
    Was nun folgt, ist ein Inferno aus schrillen Schreien, gegrillten Ratten, Rockys wiederholtem Ruf: »Ich mach Ratten-Burger aus euch!« und – ffffapppp – aufzuckenden 200 000 -Volt-Blitzen.
    Ich bemerke etwas Feuchtes an meinem Bauch. »Hast du dich schon wieder eingepinkelt?«, frage ich Rufus, während wir gebannt zur Tunnelabzweigung hinüberstarren.
    »Tut mir leid«, sagt Rufus.
    »Macht nichts«, erwidere ich, »ich auch.«
    » HOLLA !«, kommt Rockys Stimme um die Biegung, gefolgt von einem Schmerzensschrei – seinem eigenen diesmal.
    Rufus kämpft mit den Tränen. Unser Bruder hat das Gehirn eines Einzellers. Mit ihm leben zu müssen würden sogar Wirbellose als göttliche Bestrafung empfinden. Und dennoch: Er ist unser Bruder. Blut, sagt Ma gerne, ist eben dicker als Wasser. »Rocky?«, ruft er.
    »Batterie is alle!«
    »Der Generator muss erst wieder Spannung aufbauen!«, brüllt Rufus, »warte einen Moment.«
    »Habt ihr Penner gehört«, dröhnt Rocky, »ihr sollt warten!« Schreie, Quietschen, Fiepen, Platschen im Wasser. »Die wollen nicht!«
    Am größer werdenden Lichtkegel erkenne ich, dass Rocky zurückkommt. Ein Keuchen ist zu hören. Dann erscheint er humpelnd am Tunnelknick. Im ersten Moment denke ich, dass ihm eine Ratte im Nacken sitzt, aber dann erkenne ich, dass es Natalie ist, unsere Schwester. Ich fasse es nicht. Er hat sie tatsächlich. Leider tauchen im nächsten Augenblick Ratten hinter Rocky auf, viele Ratten, unzählige. Sie verwandeln den Steg entlang des Kanals in ein waberndes, graues, furchtbares … Etwas. Das schafft er niemals, denke ich.
    »Du schaffst es!«, rufe ich.
    »Es sind zu viele«, schallt es zurück.
    »Versuch noch mal den Schocker!«, ruft Rufus.
    Rocky tritt, schlägt um sich, beißt, kratzt und

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