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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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zusammengedrängt und freuen sich darüber, dass sie sich wiederhaben. »Offensichtlich gibt es ein Muster: Alte Männer, die im Zoo ermordet und anschließend entsorgt werden. Und wir haben dieses Pärchen – die Eisverkäuferin und den Raubtierpfleger –, von dem der weibliche Teil verschwunden und der männliche ebenfalls ermordet worden ist. Was ich von der Eisverkäuferin weiß, ist, dass sie von allen gemocht wurde. Sogar der Direktor schwärmt von ihrem ›freundlichen Wesen‹. Ihr Lebensgefährte, der Raubtierpfleger, wurde dagegen von allen gemieden. Leicht reizbar, aggressiv …«
    »Bei den Tieren war er auch nicht sonderlich beliebt«, ergänze ich.
    »Hm … Was folgern wir daraus?«
    Klingt, als wäre die Frage an mich gerichtet. Also antworte ich: »Bea und Atze haben alte Männer umgelegt, und bei von Sieversdorf ist etwas schiefgelaufen?«
    Phil stützt die Arme auf das Geländer und lässt den Kopf zwischen die Schultern sinken. »Ich wüsste ja gerne, ob alle vier mit derselben Waffe erschossen wurden …«
    »Du suchst die Tatwaffe?«
    Manchmal sieht Phil mich an, als sei ich der größte lebende Erdmännchen-Trottel. Wie jetzt zum Beispiel. »Nö«, sagt er, »bei einer Mordserie ist die Tatwaffe grundsätzlich völlig uninteressant.«
    »Das war jetzt ironisch gemeint, oder?«
    »Ray«, schnauft Phil, »sag mir jetzt nicht, dass ihr die Tatwaffe gefunden habt.«
    »Nee, haben wir nicht. Aber wenn sie hier im Zoo deponiert wurde und irgendwer außer uns sie in die Finger bekommen hat, dann ist sie jetzt bei Kong.«
    »Kong?«
    Ich lege eine Pfote ans Maul. »Der Gorilla-Chef.«
    »Ich dachte immer, der Löwe sei der König der Tiere«, erwidert Phil.
    »Nicht hier im Zoo, Mann. Das ist Disney-Schnickschnack.«
    »Wie kann ein Gorilla, der in einen Käfig gesperrt ist, der heimliche Herrscher des Zoos sein?«, fragt er.
    »Genau weiß das niemand. Aber eins ist klar: Ohne sein Okay läuft hier gar nichts.«
    Phil reibt sich mal wieder die Stirn, als wolle er sagen: Oh, Mann, ich rede doch hier nicht mit einem
Erd
männchen? Könnte er sich langsam mal abgewöhnen. Schließlich sind wir Partner.
    »Nehmen wir an«, überlegt er, »Kong, der King, hat tatsächlich die Waffe … Könntest du …?«
    »Möglicherweise …«
    »Verstehe schon: Es wird was kosten.«
     
    Ich warte, bis die Sonne untergegangen ist, die meisten tagaktiven Tiere schlafen und Opa Reinhard seine Runde gedreht hat, bevor ich unseren Geheimgang zum Flamingohaus hinüberschleiche und mich auf den Weg zu den Gorillas mache. Bis zu Kong vorzudringen ist ebenso schwierig, wie etwas aus ihm herauszubekommen. Man muss an zwei Türstehern vorbei. Der eine heißt Bobby und ist ein westlicher Flachlandgorilla, der andere heißt Robby und ist ein, na? – richtig: östlicher Flachlandgorilla. Westliche Flachlandgorillas sind relativ dämlich, halten sich aber für schlau und sind latent gewaltbereit.
    »Hi, Bobby«, versuche ich mein Glück. »Ich müsste mal zu Kong.«
    Er sitzt auf dem unteren Felsen, hat einen halben Apfel vor sich, popelt die Kerne aus dem Gehäuse und beäugt mich, als fürchte er, ich könne mir jeden Moment meine Erdmännchenverkleidung vom Leib reißen und meine wahre Wildjäger-Gestalt offenbaren.
    »Zu wem wollen Sie?«
    Wie ich bereits sagte: Sie
halten
sich für schlau. »Hallo, Bobby«, ich zeige meine Krallen vor, »ich bin’s – Ray. Du siehst mich jeden Morgen, wenn ich am Gehege vorbeikomme. Ich müsste mal mit Kong reden. Ist wichtig …«
    »Ray, hm?«
    Da haben wir den Mist. Ich bin noch nicht einmal am ersten Türsteher vorbei und schon mit meiner Geduld am Ende. »Hör zu, Bobby«, sage ich, »ich mach dir einen Vorschlag: Ich gehe noch mal raus, komme wieder rein, sage dir, dass ich zu Kong möchte, und du antwortest: ›Klar, Ray, kein Problem.‹«
    In Zeitlupe legt Bobby seinen Apfel neben sich ab, stützt sich auf, und beugt sich zu mir herab, bis ich den Atem des Kameruner Flachlands schmecke. Als er mich mit seinem Zeigefinger anstupst, taumele ich drei Schritte rückwärts. Immerhin scheint ihn das davon zu überzeugen, dass sich kein Wildjäger in meinem Erdmännchenkostüm versteckt hält.
    »Rühr dich nicht von der Stelle«, nuschelt er.
    »Geht klar.«
    Er hangelt sich ebenso behände wie langsam die Felsen empor, schiebt sich bis zum Eingang des Gorillahauses, spricht mit Robby, klettert wieder herunter, setzt sich, nimmt seinen Apfel und beginnt, am Gehäuse

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