Ausgefressen
eindrucksvoll das Gegenteil bewiesen. Enttäuscht und ermattet lasse ich mich auf einen Treppenabsatz sinken. Das war sie also, unsere große Chance. Und ich habe sie verbockt. Aus und vorbei. Pa hatte den richtigen Riecher, als er Rocky zum Clanchef ernannt hat. Ich bin nichts weiter als ein völlig durchschnittliches Erdmännchen.
»Willst du auch zu Holly?«, höre ich eine samtige Stimme fragen.
Ich hebe den Kopf. Vor mir steht eine Siamkatze. Eigentlich ist es noch ein Kätzchen. Sie hat schneeweißes Fell, ist parfümiert und trägt eine rote Schleife um den Hals. Ziemlich kess, zumal ich nicht darauf wetten würde, dass die Kleine volljährig ist.
»Ich hab mich verlaufen«, antworte ich wahrheitsgemäß.
»Wie süß. Bist du neu in der Stadt?«
»Gewissermaßen.«
Sie überlegt. »Komm doch einfach mit hoch. Holly lernt gern neue Leute kennen. Drinks und Essen gibt es genug. Wie immer, wenn Holly eine Party schmeißt.«
Am Tiefpunkt meines Lebens angekommen, werde ich von einem Siamkätzchen zu einer Party eingeladen. Nun gut. Es gibt Schlimmeres.
»Ich bin übrigens Ray«, sage ich.
»Hallo Ray«, sagt das Kätzchen. »Ich heiße Pussy.«
Kapitel 15
Pussy hat mächtig untertrieben. Als ich den Ort des Geschehens betrete, bin ich für einen Moment sprachlos. So ähnlich stelle ich mir den Wiener Opernball vor. Oder die Oscarverleihung. Man spürt jedenfalls gleich, dass hier Tiere von Welt versammelt sind, und das Ambiente wirkt ungleich stilvoller als die Provinzdiskothek in unserem Bau. Die Jüngsten aus dem Clan könnten sich hiervon eine dicke Scheibe abschneiden.
Das Loft ist elegant eingerichtet und wird von einem überdachten Balkon eingerahmt, auf den jene Gäste ausweichen, denen es drinnen zu eng wird. Und drinnen ist es verdammt eng. Mit der anwesenden Gesellschaft könnte man mühelos mehrere Zoohandlungen eröffnen. Neben Unmengen von Katzen und kleinen Hunden sehe ich alle Arten von Nagern, außerdem Geflügel, ein paar Amphibien und einige Schlangen. Angesichts meiner angeborenen Angst vor Puffottern macht es mich zwar nervös, dass auch Schlangen zu dieser Party eingeladen sind, aber das lasse ich mir nicht anmerken. Ich will ja nicht als Provinzerdmännchen erscheinen.
Die Gastgeberin ist eine vornehme Perserkatze mit seidig schimmerndem Fell, einem Glitzerhalsband und einer langen Zigarettenspitze. Diese wird ihr von einem Nerz namens Paul hinterhergetragen, der offensichtlich Hollys persönlicher Assistent ist. In Wahrheit gehört das Loft natürlich nicht Holly, sondern ihrer Besitzerin, einem Bademodenmodel, das dauernd unterwegs ist. Eine Zugehfrau schaut alle paar Tage mal rein, meistens hat Holly aber sturmfreie Bude, was sie ausgiebig nutzt, um Partys zu feiern. All das soll ich laut Pussy aber nicht erwähnen, weil stilvolle und kultivierte Haustiere auf Partys nicht über ihre Herrchen und Frauchen zu reden pflegen.
»Ray«, wiederholt Holly lächelnd, als Pussy mich vorstellt. »Ich kannte mal einen Ray in den Docks von San Francisco. Wir waren jung, wild und verliebt, hausten in einem ausrangierten Zeitungskasten und lebten trotzdem wie die Könige, weil es täglich die erlesensten Delikatessen gab. Man musste einfach nur zugreifen. Eine herrliche Zeit war das. Kennen Sie San Francisco, Ray?«
»Leider nein«, antworte ich. »Aber mein Bruder würde sich gern einmal den Zoo von San Diego ansehen.«
Holly lacht schallend und wirft dabei theatralisch ihren Kopf in den Nacken. »Den Zoo von San Diego!« Sie schenkt Pussy ein anerkennendes Lächeln. »Dein Freund hat wirklich Humor! Mehr kann man ja bekanntlich von seinen Gästen nicht erwarten. Es freut mich jedenfalls, dass ihr beide da seid. Amüsiert euch gut!«
Noch bevor wir uns für die freundliche Begrüßung bedanken können, ist Holly elegant zu ihrem nächsten Gast gehuscht, einem enorm dicken Hamster mit Augenklappe. »Oberst Petrejev. Es ist mir eine besondere Freude! Böse Zungen haben schon behauptet, Sie wären unter ihr eigenes Rad gekommen.«
Der Hamster stutzt, dann scheint er lachen zu müssen, bekommt aber einen Hustenanfall und drückt dabei seine Pfote in die Leistengegend. Vielleicht eine alte Kriegsverletzung, denke ich und würde die Szene gerne noch länger beobachten, aber Pussy zieht mich entschlossen ins Gewühl.
Die Luft ist schwer von Tabakqualm, Parfüm und Essensdüften. Darüber liegt ein zartes Fruchtaroma. Letzteres stammt von dem Zeugs, das hier alle trinken. Es heißt Schampus,
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