Ausgefressen
faltet sie über dem Kopf.
»Hör zu …«, beginnt er in versöhnlichem Ton, aber da bin ich bereits hinter dem Sofa hervorgekommen und habe mich vor ihm aufgebaut.
» GEHT ’S NOCH , PHIL ? UM EIN HAAR HÄTTEST DU MICH ÜBER DEN HAUFEN GESCHOSSEN !«, brülle ich mit all der Kraft, die ich aus meinem kleinen Erdmännchenkörper herausholen kann. Zu schade, dass mir auch die Fähigkeit, Zornesröte zu zeigen, abgeht. » AUSSERDEM SIEHT DEINE WOHNUNG JETZT AUS , ALS WÄR HIER ’ NE HORDE BÜFFEL DURCHGEDREHT . TICKST DU NOCH GANZ RICHTIG ?«
Phil sieht mich an, nickt matt und scheint einer Ohnmacht nahe. »Sorry, Kumpel. Ich hab gerade die Nerven verloren. War alles ein bisschen viel in den letzten Tagen.«
Ich bin noch längst nicht damit fertig, ihm die Leviten zu lesen, aber jetzt hat er mir den Wind aus den Segeln genommen. Phil, den ich bislang nur als harten Kerl kenne, wirkt gerade zerbrechlicher als ein Schmetterlingskokon.
»Geht es dir gut?«, frage ich. Klingt komisch, weil ich es schließlich bin, der vor wenigen Sekunden einen Kugelhagel überlebt hat und immer noch wie Espenlaub zittert. Andererseits habe ich ihn noch nie so niedergeschlagen erlebt. Ich erkenne einen Schimmer in seinem linken Auge. Rollt ihm da etwa eine Träne die Wange hinunter?
»Ich könnte ’n Drink gebrauchen«, nuschelt er und reibt verstohlen seinen Kopf an der Schulter.
»Du kannst die Arme wieder runternehmen«, sage ich.
Dann hole ich Phils Flachmann, was ein ordentliches Stück Arbeit ist, weil ich die Lampensplitter großzügig umgehen muss.
»Danke.« Er leert das silberne Fläschchen in einem Zug und sieht mich traurig an. Sein Gesicht lässt mich befürchten, dass er gleich noch mal ein paar Tränen vergießen wird.
»Es tut mir wirklich leid, Ray. Keine Ahnung, was in mich gefahren ist …«, beginnt er und erhebt sich mühsam.
»Schon gut«, unterbreche ich. »Halt hier keine großen Reden. Gib mir lieber auch einen Drink.« Ich vermute, dass ich diese Sätze ebenfalls aus dem besagten Western abgekupfert habe.
Phil versucht ein Lächeln, nimmt mich hoch und setzt mich auf dem Tresen ab, wo ich wenig später einen frischen Drink vor mir stehen habe.
»Auf dich«, sagt Phil.
»Und auf die Liebe«, ergänze ich.
Dann beginnen wir, uns systematisch das fiese Zeug hinter die Binde zu kippen, mit dem Phil einen wesentlichen Teil seines Flüssigkeitshaushaltes deckt: Scotch.
Zwei Flaschen später liegt Phil schnarchend auf dem blauen Sofa.
Wir haben viel getrunken und viel geredet. Ich weiß jetzt, dass verliebte Menschen genauso arme Schweine sind wie verliebte Erdmännchen. Und ich verstehe ebenfalls, warum Phil durchgedreht ist. Ich wäre ja auch fast wahnsinnig geworden, als die Sache mit Giacomo und Elsa ans Licht kam. Im Unterschied zu Phil habe ich zwar nicht wild in der Gegend herumgeballert. Trotzdem wäre ich um ein Haar in einem selbst gegrabenen Erdloch erstickt.
Ich vermute, es ist nur eine Frage des Naturells, wie man mit Liebeskummer umgeht – der Schmerz bleibt immer derselbe. Nebenbei kann ich keinen Revolver bedienen. Könnte ich das, wer weiß, vielleicht hätte ich schon längst Giacomos Pelzbeutel zersiebt oder im Zoo eine Ausflugsgruppe gemeuchelt. Oder beides. Jedenfalls habe ich beschlossen, Phils Amoklauf nie wieder zu erwähnen. Wäre Phil nicht gewesen, würde ich jetzt irgendwo auf der Touristenmeile kleben, verziert mit dem Reifenprofil eines Berliner Doppeldeckerbusses. Da Phil mir also schon einmal das Leben gerettet hat, werde ich ihm jetzt nicht übelnehmen, dass er es eben auslöschen wollte.
Ich hangele mich an einem Barhocker hoch zum Küchentresen. Obwohl ich von Glas zu Glas immer mehr Wasser in meinen Scotch gegossen habe, spüre ich die Wirkung des Alkohols gewaltig. Ich sehe immer mal wieder doppelt, und meine Bewegungen sind so langsam wie Roxanes Gedankengänge – sofern sie überhaupt welche hat.
Ich spekuliere darauf, dass ein Kaffee mich wieder auf die Beine bringen wird. Leider findet sich in keiner der herumstehenden Tassen auf dem Tresen auch nur ein winziger Rest.
Ich schleppe Constanzes Espressotässchen zur Kaffeemaschine, suche mir einen der vielen Knöpfe aus, drücke darauf und hechte in Deckung.
Hechten kann man eigentlich nicht sagen. Es ist mehr ein Torkeln. Nebenbei stoße ich versehentlich gegen einen Hängeschrank und habe für einen Moment das Gefühl, gleich in eine ähnliche Ohnmacht zu fallen wie Phil. Vielleicht wäre das gar
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