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Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)

Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)

Titel: Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Burchardt
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Ideenmatsch zu Tode.
    Mittelmäßige Chefs sind überzeugt, dass die unbequemen, unbeugsamen, sperrigen und verqueren Mitarbeiter entweder gezähmt oder rausgeschmissen werden müssen, damit der Laden effizient funktioniert. Intelligenz und Kreativität schmelzen in solchen Unternehmen dahin wie die Gletscher im Klimawandel.
    In Mittelmaßunternehmen werden auf diese Weise die Wachstumsaugen, die Knospen, aus denen künftig neue Äste und Früchte sprießen können, systematisch beseitigt. Sie werden mit spitzen Instrumenten weggekniffen, sie werden im Zuge der Vermassung und Kostenreduktion abgestreift oder sie verkümmern vor Nährstoffmangel.
    All das macht das Unternehmen nach und nach immer dümmer, immer gewöhnlicher, immer mittelmäßiger. Und dann kommt noch die Gravitation des Schwellenpreises hinzu …
    Um zu verstehen, wie Billigkultur und Mittelmäßigkeit zusammenhängen, muss man verstehen, wie das mit dem Schwellenpreis funktioniert. Wir Verbraucher haben Preisschwellen im Kopf: Wein über 10 Euro, Wein unter 10 Euro. Milch über 1 Euro, Milch unter 1 Euro. So sortieren wir meist unbewusst Produkte in »Preislagen« ein, um uns zu orientieren. Die Flasche Wein wandert in unserem Kopf in die nächstteurere »Schublade«, und zwar genau in dem Moment, in dem sie teurer als 10 Euro ist. 9,99 ist eine andere Kategorie als 10,09 Euro. Dieser Effekt ist real und wurde schon oft eindeutig nachgewiesen.
    Klar, dass sich die Überschreitung einer Preisschwelle auf den Umsatz auswirkt – was teurer ist, wird in der Regel weniger gekauft. Dementsprechend kostet das Taschenbuch 9,90 Euro, der Billig-PC 499 Euro oder die Finanzierungsrate für den VW Up, der im Grundpreis 9850 Euro kostet, 95 Euro. Wer als Anbieter eine Preisschwelle überschreiten möchte, der muss besser verkaufen können als die anderen, er braucht mehr Selbstbewusstsein. Oder er greift zu einem Trick: Nespresso zum Beispiel hebelte den Kaffee-Schwellenpreis in unseren Köpfen einfach aus – Kaffee wird jetzt nicht mehr als Pfund oder Kilo, sondern als Kapsel verkauft. Ein Kilo Nespresso kostet umgerechnet mindestens 60 Euro. Das funktioniert auch.
    Es gibt Unternehmen, die missachten den Schwellenpreis absichtlich. Ein Porsche Carrera Targa 4 kostet beispielsweise 100 770 Euro – das ist frech. Das psychologische Signal ist: Dieses Produkt ist teuer. Und das ist so gewollt. Auch Manufactum hat sich nie um Schwellenpreise geschert – 12 Euro sind 12 Euro und eben nicht 11,99 – und wird deshalb als teurer wahrgenommen, als es ist. Aber das passt, denn der glatte Preis strahlt dann eine Wertigkeit und Ehrlichkeit aus und spricht damit die Kunden an, die etwas Wertiges und Ehrliches wollen.
    Stolze, preisfeste Unternehmen geben auch keinen Rabatt. Wendelin Wiedeking hat, als er die Führung bei Porsche übernahm, die Preisnachlässe abgeschafft und damit dem kränkelnden Unternehmen sofort neuen Stolz eingehaucht. Kundenorientierte Billigheimer dagegen wollen es dem Kunden recht machen, und wenn der weniger bezahlen will … ist doch besser als gar nichts verkaufen, oder?
    Das Problem jedes Schwellenpreis-Unternehmens ist: Es muss immer billiger werden. Es gibt nun mal eine schleichende Geldentwertung, die Inflation. Sie schwankt in Deutschland in den letzten Jahrzehnten ungefähr zwischen 0,5 und 3 Prozent. Zwar leben wir damit in einer der geldstabilsten Regionen der Welt, aber trotzdem kostet heute rein rechnerisch ein Produkt mehr als viermal so viel wie in den 50er Jahren, alleine aufgrund der Geldentwertung. Das bedeutet: Ein Unternehmen, das sich nicht traut, ein Produkt über einen bestimmten Schwellenpreis zu heben, steckt in einer Sackgasse. Es nimmt mit diesem fixierten Preis, der nicht mehr weiter steigen kann, weil ja sonst die Schwelle überschritten würde, ständig weniger Geld ein, denn 9,99 Euro Umsatz sind im Jahr 2010 mehrere Prozent weniger wert als die 9,99 Euro Umsatz aus dem Jahr 2007.
    Also muss sich das Unternehmen die schwindende Spanne woanders beschaffen. Wo? Da gibt es nur eins: bei den Mitarbeitern und bei den Zulieferern. Die Kosten müssen gedrückt werden, und zwar jedes Jahr, damit der Inflationsverlust am Schwellenpreis ausgeglichen werden kann. Die Folge: immer schlechtere Leistungen und immer billiger hergestellte Produkte.
    Die Schokoküsse müssen genau so aussehen wie im Jahr zuvor, sie müssen auch immer noch knacken beim Reinbeißen, aber der Überzug muss dünner werden, damit weniger Schokolade

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