Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
Industriegeschichte. Sie machten Anfang 1929 den Deal ihres Lebens und verkauften 80 Prozent des Unternehmens an General Motors – für die damals ungeheure Summe von über 33 Millionen Dollar. Das wären nach heutiger Währung knapp eine halbe Milliarde Euro.
Und heute? Heute steht Opel für schlechtes Management, für Finanzierungsprobleme, für Umsatzrückgang, für Milliardenverluste, für Stellenabbau, für Werksschließungsgerüchte, für ständig wechselnde Chefs, an die sich kein Mensch erinnern kann, für immer neue Firmen-Slogans, an die man sich noch weniger erinnern kann (war da nicht mal was mit »Wir haben verstanden«?), mit vier Logo-Neugestaltungen in zehn Jahren, was kaum jemandem aufgefallen ist.
Einstmals baute Opel Traumwagen wie den Kapitän, innovative Neuentwicklungen wie den Olympia mit seiner selbsttragenden Karosserie, imposante Autos wie den Admiral, Kassenschlager wie den Rekord, Autos für die Massen wie den Kadett, zuverlässige Lastesel wie den Blitz, markante Sportwagen wie den GT, Kultautos wie den Manta. Opel konnte einfach alles. Heute langweilt Opel mit einem Astra, einem Corsa und einem Meriva und steht kurz vor dem Tod durch Charaktermangel.
Also, wo geht die Kreativität und Innovationskraft eines Unternehmens verloren, wodurch versinkt es im Mittelmaß, wie zerstört man den Stolz der Mitarbeiter, wann beginnt das Billigvirus sich einzunisten, wann startet der Abstieg eines Unternehmens, einer Marke, eines Produkts?
Es beginnt, wenn man sich den Schneid abkaufen lässt. Den Schneid, der billigste zu sein, lässt man sich von den Discountern oder von Dacia abkaufen. Den Schneid, der beste zu sein, lässt man sich von Breuninger oder von BMW abkaufen. Den Schneid, selbstbewusst aufzutreten, lässt man sich vom Misserfolg abkaufen. Es ist ein orientierungsloses und ratloses Taumeln in der Mitte zwischen wachsenden Premiummärkten einerseits und wachsenden Billigmärkten andererseits. Der Abstieg ist eine Funktion des Opportunismus: Mittelmäßig wird ein Unternehmen genau in dem Moment, in dem es mutlos wird. Mutlos! Man nennt das auch: kundenorientiert.
Abwärtspreise
Wenn das Management eines Unternehmens der Meinung ist, dass es das tun muss, was die Kunden wollen, ist der Abstieg besiegelt. Aus einem Unternehmen, das einstmals das beste Produkt, die beste Dienstleistung, die besten Produktionsverfahren, das beste Design oder die besten Mitarbeiter haben wollte, wird ein Unternehmen, das Marktforschung betreibt. Es befragt die Kunden, was sie haben wollen, und beginnt, dem Geschmack der Massen hinterherzulaufen.
Die Richtung der Ideen kehrt sich um: Einstmals hatten die Gründer herausragende Ideen, die anschließend umgesetzt und dann vermarktet wurden. Die Kunden wurden überrascht mit noch nie gesehenen Neuerungen. Und kauften. Das ist das Erfolgsrezept sämtlicher herausragender Produkte der letzten hundert Jahre: Die Ideenrichtung verlief vom Unternehmen hin zu den Kunden.
Aber dann kam die Kundenorientierung in Gestalt einer neuen Generation von Managern, und die begannen, die Kunden zu fragen, was sie kaufen wollten. Bloß nichts riskieren! Die Ideenrichtung kehrte sich um, vom Kunden zurück ins Unternehmen. Woher aber sollen die armen Kunden denn die guten Ideen haben? Die Profis fragen die Amateure um Rat? Kunden können sagen, was ihnen an den Produkten der letzten Jahre gefallen oder nicht gefallen hat. Sie bieten dem Unternehmen einen interessanten Blick in den Rückspiegel. Sie schildern die Vergangenheit. Mehr nicht. Hätten wir im Kerzenzeitalter gefordert, dass wir künftig bitte Glühbirnen haben möchten? Nein, es brauchte jemanden, der sie einfach gemacht hat. Hätten wir im Festnetzzeitalter gesagt, dass wir künftig auf einer Minitastatur SMS schreiben und verschicken möchten? Nein, es brauchte jemanden, der die Technologie einfach gemacht hat. Können wir heute sagen, dass wir nächstes Jahr …? Nein, können wir nicht. Wirtschaft braucht Mut!
Denn sonst bluten die Unternehmen aus. Der Blick in den Rückspiegel interessiert Spitzenkräfte nicht, die gehen dann woanders hin, zu einem Unternehmen, das ihre Ideen und ihren scharfen Blick durch die Windschutzscheibe nach vorne schätzt. Mittelmäßige Chefs stellen erwiesenermaßen mittelmäßige Mitarbeiter ein. Geniale Konstrukteure, wagemutige Designer oder kompromisslose Verkäufer finden dann kein Habitat mehr, in dem sie gedeihen können, sie langweilen sich im kundenorientierten
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