Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
Die Kunden zu duzen und nordische Sachlichkeit massenhaft in deutsche Haushalte zu bringen, das hat Ikea geschafft. Und wertvolle, stilvoll gestaltete, schlicht schöne elektronische Produkte zum Mainstream-Gebrauchsgegenstand zu machen, das hat Apple mit vier keineswegs billigen Produkten geschafft, die jeweils aus einer Nische zum Mainstream wurden: zuerst der iMac, dann der iPod, dann das iPhone und dann das iPad.
Das ist interessant. Ganz offenbar muss Mainstream nicht notwendigerweise billig bedeuten. Die Macht des Mainstreams ist so groß, dass sich die Menschen bis auf ein paar Außenseiter ihm nicht entziehen können, weil die Macht des Lebensmotivs Zugehörigkeit so groß ist. Aber dieser Mechanismus ist auch immer eine Chance für wertvolle, schöne, sinnvolle, einfach gute Produkte. Manufactum, angetreten mit dem inzwischen berühmten Slogan »Es gibt sie noch, die guten Dinge«, hat bis heute einen ziemlich großen Markt begründet. Deutsche Autos gehören zu den meistverkauften der Welt und heben das allgemeine Auto-Qualitätsniveau ganz deutlich. Apple hat überragendes Design und Ästhetik mit überlegener Technik verbunden und ist damit Massenanbieter und wertvollste Marke der Welt geworden – es geht also. Gute Produkte müssen keine teuren Nischenprodukte sein, sinnvolle und schöne Verhaltensweisen oder Sichtweisen können durchaus Mainstream-Kultur werden.
Warum landen dann nur immer wieder so viele Mainstream-Marken im Billig- und Ramschwaren-Segment? Und warum führt der Mainstream meistens bergab? Warum gibt es insbesondere bei den Konsumgütern so viel Schrott, so eine üble Billigkultur?
Warum nur sind Kurzfristdenke, Wegwerfmentalität und Geiz so furchtbar normal geworden?
»In Gefahr und großer Noth
bringt der Mittel-Weg den Tod.«
Friedrich von Logau
Kapitel 5
Wie man Mittelmaß produziert
Der Fluch der falschen Kundenorientierung
Billig, Mainstream, Mittelmaß … Um zu illustrieren, was Mittelmaß ist, fällt mir als erstes die Bahn ein. Die Bahn will alles, aber kann anscheinend nichts richtig.
Sie will edel sein, mit einem tollen, supermodernen Vorzeigebahnhof in Berlin, den der Stararchitekt Meinhard von Gerkan entwerfen durfte – aber sie ziehen in der unterirdischen Halle statt des geplanten schicken Gewölbes eine billige Flachdecke ein, und zwar gegen den Willen und das Urheberrecht des Architekten. Es geht um einen Vorzeigebau Deutschlands, um 300 000 Fahrgäste am Tag, um ein absolutes Imageobjekt für die nächsten Jahrzehnte, um eine Investition von insgesamt schätzungsweise 10 Milliarden Euro – und die Bahn begründet ihre Umplanung mit einer Einsparung von ein paar Millionen Euro, also ein paar Promille der Gesamtkosten. Das ist Mittelmaß.
Die Bahn will kundenorientiert sein – aber weil die Lufthansa ein »Miles-and-More-Programm« hat, macht die Bahn eben ein »Bahn-comfort-Programm«. Das ist Mittelmaß.
Die Bahn will modern und edel sein und hat neben teuren Bahnhöfen auch modernste Züge angeschafft – aber in vielen Winkeln von vielen Zügen und in vielen Ecken von vielen Bahnhöfen ist es siffig, zugig, speckig, dreckig, staubig und stinkig. Das ist Mittelmaß.
Die Bahn will weltläufig sein – aber sie macht sich bei den Passagieren zum Affen mit ihren hanebüchenen Fluglinie-Durchsagen im Stile von »Gud Morning, Läidiees änd Dschentelmenn, wie wisch ju a plesent träwwel …« – Und der halbe Zug lacht. Das ist Mittelmaß.
Die Bahn könnte stolz sein auf das, was sie kann, und tut stattdessen so, als wäre sie eine Fluglinie auf Rädern, noch halb im Behörden- und Beamtenmief der 60er Jahre hängend, ähnlich wie die Post. Dabei strotzt das Unternehmen vor Kapital, Tradition, Nutzen und Wert. Es ist ein Jammer … Und wenn ich an die Bahn denke, fällt mir als Nächstes Karstadt ein. Au weia, Karstadt ist mittelmäßiger als alles. Gehen Sie hin und schauen Sie es sich an. Karstadt ist unverzichtbar, und zwar als Museum. Dort werden Sachen verkauft, die es sonst nirgendwo mehr gibt: die Süßwarenabteilung, die Kurzwaren, die Übergangsjacke für Herren in Rentner-Beige, das Ganze auf hip geschecktem grauem Linoleumboden. Es spricht ja vieles dafür, Dinge anzubieten, die es sonst nirgendwo mehr gibt. In den meisten deutschen Städten könnten Sie heute ohne den Karstadt ja keinen Knopf mehr kaufen. Aber es geht eben auch darum,
wie
man es verkauft. Ein Spaziergang im Karstadt ist wie eine Zeitmaschine in die späte
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