Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
nimmt und den Leuten großräumig zeigt, wie wunderbar man Lebensmittel inszenieren und präsentieren kann, wie der tägliche Einkauf zu einem angenehmen Erlebnis werden kann, wie gut Qualität schmeckt, wie schön es ist, zu wissen, dass die Lebensmittel fair und ökologisch sauber regional produziert wurden, wie gut es tut, etwas mehr Geld auszugeben für viel mehr Qualität – wenn wir Konsumenten das einmal erleben dürfen, dann knallt es unter den Dickschiffen der Discounter und Supermarktketten. Dann klappen die Giganten der Mittelmäßigkeit zusammen. Und das wäre ein Segen.
»In meiner Freizeit widme ich
mich außerdem der Gartenarbeit.
Etwas wachsen zu sehen,
ist das Schönste der Welt.« 10
Donna Leon
Kapitel 6
Handelsgiganten
Der Fluch der großen Konzerne
Thomas Austin liebte die Jagd auf Hasen und Kaninchen. Man schrieb das Jahr 1859, als der australische Viehzüchter sich einen Traum erfüllte und zwei Dutzend Wildkaninchen aus England importierte, die er auf seinem Grundbesitz freiließ. Als Jagdwild.
Aus heutiger Sicht ist diese folgenreiche Tat nur schwer nachzuvollziehen. Aber man muss den Mann verstehen: Er wollte vermutlich nur immer wieder aufs Neue das erhabene Gefühl des Triumphs genießen, wenn er so ein Karnickel im Zweikampf stellte: Hier die verflucht scharfen Schneidezähne und die furchtbaren krallenbewehrten Pfoten der wilden, langohrigen, aus runden Augen grauenerregend funkelnden Bestie – da der todesmutige Held, der sich dem Killerkarnickel entgegenwarf, nur bewehrt mit einer doppelläufigen Schrotflinte. Und er überlebte.
Aber die Kaninchen auch. Jedenfalls überlebten genügend von ihnen, um sich außer Reichweite von Thomas Austin erstaunt umzusehen und festzustellen: Hoppla, es geht uns gut. Sehr gut sogar!
Wie die Karnickel …
Wenn es Kaninchen gut geht, werden sie enorm fruchtbar. Wenn es ihnen aber sehr gut geht, … vermehren sie sich wie die Karnickel. Ein Kaninchenweibchen kann pro Jahr fünf bis sieben Würfe austragen, jeder Wurf bringt fünf bis neun neue Kaninchen zur Welt. Macht zwanzig bis dreißig neue Weibchen pro Jahr, die wiederum ein Jahr später mit der Fortpflanzung loslegen. Ein sorgenfreies Kaninchenweibchen kann neun Jahre alt werden, also in seinem Leben bis zu 200 weibliche Nachkommen gebären, die wiederum 40 000 Enkeln das Leben schenken, es folgen 8 Millionen Urenkel und 1,6 Milliarden Ururenkel. Theoretisch jedenfalls. Und sie alle beherrschen einen Trick: Je besser ein Kaninchenweibchen im Futter steht, desto mehr weibliche Nachkommen bringt es zur Welt. Und mehr Weibchen können mehr Kaninchen gebären. Dieser Regulierungsmechanismus ist ein Wachstumsbeschleuniger für fröhliche Kaninchenpopulationen. In der Wildbiologie nennt man solche Tierarten »r-Strategen«. »r« steht für die Reproduktionsrate. Sie produzieren, vereinfacht gesagt, schnell viel Masse, dafür mit wenig elterlicher Fürsorge und Sorgfalt. Typisch für r-Strategen ist unter anderem ein kleines Gehirn. Die Spezies versucht also mit brachialer, exponentieller Macht die sich ihr bietende Nische auszufüllen.
In Zaum gehalten wird das Kaninchen in seiner angestammten Heimat Europa, Asien und Nordafrika durch Füchse, Greifvögel, Eulen, Marder, Wiesel, Iltisse, Hermeline, Luchse und Wölfe. Und durch tödliche Krankheiten, zum Beispiel die Myxomatose. Das ist eine Krankheit, die durch einen hochvirulenten Pockenvirus ausgelöst wird, der sich auf Kaninchen spezialisiert hat.
In Australien, fern der Heimat, ging es den englischen Kaninchen gut. Sehr gut sogar: Die paar Beuteltiere, die sich in ihrer ökologischen Nische tummelten, waren ruckzuck verdrängt, und in Abwesenheit von natürlichen Feinden und endlich unbehelligt vom Myxomatose-Virus lebte es sich ganz ungeniert. Die Kaninchen konnten sich ganz auf das konzentrieren, was sie am liebsten tun: fressen und sich fortpflanzen.
Australien ist sehr groß, fast so groß wie ganz Europa. Und so brauchten die Kaninchen ganze dreißig Jahre, um den kompletten Kontinent zu besiedeln. Das aber taten sie gründlich. Anfang des 20. Jahrhunderts lebten vorsichtig geschätzt ungefähr eine halbe Milliarde Kaninchen in Australien. Sie veränderten die natürliche Flora auf riesigen Flächen, sie zerstörten den Lebensraum vieler anderer Tierarten, sie sorgten für verstärkte Bodenerosion. All das war den Australiern herzlich egal, aber was sie massiv störte, war die Tatsache, dass die Kaninchen auch den Boden
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