Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
Lebensmitteleinzelhandel? Und die zweite: Was glauben Sie, um wie viel größer (gemessen am Umsatz) ist Nestlé Deutschland gegenüber Edeka?
Die Fragen sind gemein, und vielleicht ahnen Sie schon, wie die Antwort ausfällt: Der weltweite Nestlé-Konzern ist nur ungefähr halb so groß wie der deutsche Lebensmitteleinzelhandel. Und alleine die Edeka-Gruppe ist mit einem Umsatz von 43 Milliarden Euro in Deutschland mehr als zehnmal so groß wie Nestlé Deutschland. Wirklich wahr.
Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel besteht aus wenigen unglaublich großen Dickschiffen, von denen die Edeka-Gruppe das größte ist. Die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel ist weit fortgeschritten: Die acht größten Handelsgruppen halten über 90 Prozent Marktanteil. 11
Diese Fakten sind in der Bevölkerung weitgehend unbekannt – obwohl sie unser tägliches Leben, das, was wir essen und trinken, und wie wir uns als Konsumenten verhalten, auf dominanteste Art bestimmen. Kaum jemand weiß, wie groß die Macht der Händler in Deutschland wirklich ist. Und wenn man es den Leuten sagt, glauben sie es meistens erstmal gar nicht.
Das jährliche
Einkaufsvolumen
des deutschen Lebensmitteleinzelhandels, also der Supermärkte und Discounter, entspricht mit geschätzt 130 Milliarden Euro ungefähr dem kompletten Sozialhaushalt der Bundesrepublik Deutschland. So sieht’s tatsächlich aus.
Auf uns Verbraucher wirkt der Edeka-Markt an der Ecke vielleicht wie ein kleiner Lebensmittelhändler, der ein Spielball der Industrie ist. Die Wirklichkeit ist aber ganz anders: Edeka kauft jedes Jahr in aller Stille für fast doppelt so viel Geld ein, wie alle landwirtschaftlichen Betriebe, alle Äcker, alle Ställe, alle Wälder und alle Fischer in ganz Deutschland zusammen erwirtschaften.
Rein von den Zahlen, Daten und Fakten her befinden sich die Riesen Edeka, Rewe, Lidl, Tengelmann, Aldi und Norma in einer Blütezeit. Sie sind in ihrer Gesamtentwicklung in einer unglaublich dominanten Phase. Sie bevorteilen sich selbst durch ihre Größe, denn sie haben die Marktmacht, um die Spielregeln zu ihrem eigenen Vorteil anzupassen. Gegenüber den produzierenden Unternehmen sind sie so zyklopenartig viel größer, dass sie die besten Konditionen einfach durchdrücken können. Und das tun sie. Ihre Marktstellung erscheint unangefochten, eine sichere Bank.
Sie bilden zusammen ähnlich wie die Ölkonzerne, die Energieriesen oder die Großbanken eine Art Oligopol, also ein Monopol, das unter einigen wenigen Akteuren aufgeteilt ist. Allerdings: Das Kartellamt ist wachsam, die Konzerne sind vorsichtig, und der Einzelhandel ist insgesamt sehr transparent, man kann also nicht einfach behaupten, dass es illegale Preisabsprachen oder eine Kartellbildung gäbe. Aber natürlich sind die Konzerne nicht doof. Sie wissen ganz genau, welche Kuh auf welchem Fleck der Weide steht und wer wie viel melken darf. Sie haben alle mehr oder weniger das gleiche Geschäftsmodell, das sich aus Sicht der Verbraucher nur in Nuancen unterscheidet. Alle weiden die gleiche Wiese ab, alle nebeneinander her. Sie versuchen, ihren Marktanteil zu behaupten und die Vertikalisierung voranzutreiben, um im Preiskampf mitzuraufen und hier ein Prozentchen und dort ein Prozentchen Marktanteil hinzuzugewinnen.
Vertikalisierung bedeutet, dass sie versuchen, die komplette Wertschöpfungskette immer weiter zu integrieren, also Herstellung und Verkauf in eine Hand zu bekommen, um alle Zwischenhändler- oder Produzentenmargen auszudünnen oder abzuschöpfen. Erfolgreiche Händler wie Zara, Ikea, H&M oder Esprit setzen inzwischen nur noch auf die eigenen Handelsmarken beziehungsweise die selbst produzierte Ware, und der Lebensmitteleinzelhandel tut das zunehmend auch.
Edeka hat seine eigenen Fleischwerke, und gerade wurde da kräftig investiert. In Rheinstetten zwischen Schwarzwald und Vogesen wurde neu gebaut: 800 Mitarbeiter produzieren dort 650 Tonnen Fleisch und Wurst pro Tag. Sechshundertfünfzigtausend Kilogramm. Pro Tag! Aus dem Kühlraum kommen die Schweinehälften im Sekundentakt herausgefahren, um zerlegt zu werden. Es gibt knallharte Prozesse, Akkordarbeit. Edeka hat extra 90 Ungarn eingestellt, denn die sind auf Schweine spezialisiert und legen beim Zerlegen ein enormes Tempo vor. Solche Topleute sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt gar nicht mehr zu finden, sagt der Chef. 15 000 Schweinehälften zerlegen sie in der Woche. Die besten Rinderzerleger kommen aus Polen. 3000
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