Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
ihnen einen gewissen Respekt zollen können, den sie als gelungene Ergebnisse gut getaner Arbeit ja durchaus verdienen.«
Aus dem Vorwort des Manufactum-Hauptkataloges
Kapitel 1
Wozu wertvoll? – Das Kohlenstoffmesser
Warum preiswert besser ist als billig
Wenn ich eines Tages meinen Kugelschreiber nicht mehr finden würde, wenn er für immer verloren gegangen wäre, dann wäre ich wirklich und wahrhaftig traurig.
Wie bitte?! Das ist doch nur ein Schreibgerät. Warum würde mich das traurig machen?
Neulich dachte ich wirklich, es wäre so weit. Ich konnte ihn nirgends finden. Normalerweise ist er immer dort, wo ich bin. Aber an dem Tag war er weg. Hatte ich ihn beim Kunden liegen gelassen? Hilfe, mein Kugelschreiber ist weg! Ich rief sofort an: Konzernzentrale. Entschuldigung, ich war gestern bei Ihnen. Kugelschreiber verloren. Wichtig. Bitte. Bitte. Heilig. Brauch ich. Ich war in den und den Räumen. Würden Sie bitte mal nachschauen lassen?
Die Dame hatte sofort Verständnis und schickte jemanden los.
Mein Kugelschreiber ist ein Mont Blanc. Schwarz und Gold. Ich habe ihn vor fünfzehn Jahren geschenkt bekommen und seitdem mit ihm alles Wesentliche geschrieben, was man von Hand schreibt. Und unterschreibt: meinen Arbeitsvertrag bei Manufactum zum Beispiel. Jeden Vertrag, den ich für Manufactum unterschrieben habe. Zum Beispiel Arbeitsverträge von Menschen, die noch heute dort arbeiten. Mietverträge für Ladengeschäfte, in denen Manufactum heute noch ist. Auch den Verlagsvertrag für dieses Buch hier. Oder die Klassenarbeiten und Zeugnisse, die Schulanmeldungen meiner Tochter. Die Verträge, die mit meiner eigenen Firma zusammenhängen. Viele private Dokumente, die einen Unterschied gemacht haben.
Mit meinem Kugelschreiber habe ich Spuren in meinem Leben hinterlassen. Er hat alle meine wesentlichen Lebensbereiche miteinander verbunden. Wenn ich etwas schreiben will, stehe ich extra auf und gehe ihn holen. Ich weiß auch immer, wo er ist. Links in meinem Sakko. Ich passe auf ihn auf wie auf meinen Schlüssel und meinen Geldbeutel. Ich hatte ihn noch niemals verlegt oder vergessen.
Eine Stunde später kam der Rückruf, der mein Herz sinken ließ: Sie hatten überall gesucht, aber meinen Kugelschreiber hatten sie nicht finden können. Die Frau musste es an meiner Stimme gehört haben, wie enttäuscht ich war. Sie tröstete mich und machte mir Hoffnung.
Erstaunlich, sie hatte sofort akzeptiert, dass mir dieser Kugelschreiber wirklich wichtig ist, sie hatte meine Bitte ernst genommen und Anstrengungen unternommen, den Gegenstand, der mir offenbar so am Herzen lag, wiederzufinden. Ganz offensichtlich gibt es Menschen, die so etwas nachvollziehen können.
Mein Kugelschreiber ist ein Meisterstück. Er ist schwer, wiegt sein eigenes Gewicht, hat seine ganz eigene Haptik. Ich kann fühlen, dass er wertvoll ist. Um die Mine auszufahren, muss man ihn drehen. In jedem Meeting, bei jedem Telefongespräch drehe ich an meinem Kugelschreiber, millionenmal, es ist meine Bewegung, ein Muster in meinem Kopf. Schon zig neue Minen hat er bekommen, immer die besten, und er ist nie schlechter geworden. Einmal war eine Reparatur fällig, weil er mir runtergefallen ist. Aber nach der Reparatur war er genauso gut wie vorher. Wenn ich ihn aufschraube, kann ich sehen, wie sorgfältig er hergestellt wurde. Ich kann nachvollziehen, warum dieses Ding mittlerweile 280 Euro kostet. Es macht Sinn.
Manchmal sehe ich billige Möchtegern-Kopien von Kulis, die so ähnlich aussehen, Plastik-Werbegeschenke, die versuchen, auf den Look aufzuspringen. Aber es ist fast lächerlich, wenn man die anfasst.
Mein Kugelschreiber hat eine Seriennummer. Mein Name ist auf ihm eingraviert. Er hat Macken und Kratzer. Er ist ein Individuum. Natürlich kann ein Gegenstand keine Gefühle erwidern, aber trotzdem: Ich habe eine innige Beziehung zu meinem Kugelschreiber. Er ist so sehr meiner, wie sich ein Gegenstand mit einer Person nur verbinden kann.
Ein Stunde später fiel er mir entgegen. Er war in meine Aktentasche gerutscht.
Weil die Dame am Empfang meines Kunden so freundlich gewesen war, rief ich kurz bei ihr an, um ihr zu sagen, dass ich meinen Kugelschreiber gefunden hatte.
»Ach, Herr Burchardt, da bin ich aber froh. Wie schön, dass Sie ihn wieder haben!«
Ein gutes Geschäft
Ein Kugelschreiber für 280 Euro? Was für ein Luxus-Mist! Der Burchardt hat gut reden! Der soll das mal einem Hartz-IV-Empfänger erzählen! Zwischen 5 und 10
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