Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
auch noch Rabatt.
Und das Beste dabei: Ein guter Teil der Kunden wurde böse, wenn wir auf die Forderungen nicht eingingen. Sie hatten das Gefühl, im Recht zu sein, und verdächtigten uns, dass wir uns mit überteuerten Preisen an ihnen bereicherten. Die Logik dahinter: Wenn es woanders billiger ist, dann heißt das doch, dass ihr mich übervorteilen wollt. Wir sind doch nicht blöd!
Und schon waren wir in der Defensive und mussten uns rechtfertigen, weil ein Fachhandel mit guter Beratung eben nicht beim billigsten Online-Preis mitgehen kann. Das beratende Personal möchte ja am Monatsende mit vollem Recht ein Gehalt auf dem Kontoauszug sehen können.
Ich bin alles andere als ein Nostalgiker, aber ganz ehrlich: Früher hätte man sich für so ein Verhalten als Kunde geschämt. Heute ist es normal – es bleibt aber schizophren: Einerseits wird die Servicewüste Deutschland beklagt, andererseits wird gute Beratung nicht mehr wertgeschätzt. Wir hatten damals bei Magazin schlicht kein Konzept, wie wir damit umgehen sollten. Und auch alle anderen Fachhändler finden einfach kein Mittel dagegen. Der Fachhandel kommt uns derzeit großräumig abhanden. Und das ist ein unersetzlicher Verlust.
Was wir verstehen müssen: Der Komplize der gierigen Billigkultur-Konzerne ist der geizige Verbraucher. Gier erzeugt Gier. Der Renditehunger des globalen Finanzmarkts treibt uns kollektiv geiz-ist-geil-mäßig in den Egoismus-Exzess. Und der Egoismus der Verbraucher beflügelt die Billigkultur und die Renditeziele der Konzerne.
Oder nochmal anders ausgedrückt: Es gibt keinerlei Berechtigung, auf die gierigen, Boni verschlingenden Banker, Bosse und Börsenspekulanten mit dem Finger zu zeigen, während man selbst bei Aldi, H&M und Tchibo auf die Preise schielt.
Wenn es eng wird
Die Île d’Yeu ist ein idyllisches Fleckchen. Die 23 Quadratkilometer große Atlantikinsel liegt ungefähr 20 Kilometer vor der Küste der französischen Vendée im Atlantik. Die knapp 5000 Insulaner leben vom Tourismus und vom Fischfang.
Als ich im Spätsommer 2002 wie schon oft vorher auf der Île d’Yeu im Urlaub war, streikten plötzlich die französischen Fernfahrer auf dem Kontinent. Es ging um ein 13. Monatsgehalt und die Verkürzung der Arbeitszeiten. Rund 250 000 Brummifahrer blockierten gewerkschaftlich organisiert landesweit die Verkehrswege, unter anderem auch die Häfen. Der Warentransport in Frankreich kam zum Erliegen. Und damit auch die Versorgung der Île d’Yeu.
Als auf der Insel in kürzester Zeit kein Benzin mehr zu kaufen war und die zwei einzigen Supermärkte der Insel in zwei Tagen praktisch leer gekauft waren, wurde ich unruhig. Was wäre, wenn es einfach nichts mehr zu essen gäbe und wir auch nicht mehr von der Insel runterkämen? Wir hatten eine dreijährige Tochter dabei … Aber anders als ich hatten die Einwohner Nerven wie Drahtseile. Sie hatten schon Schlimmeres erlebt, die Insel war nicht zum ersten Mal von der Versorgung des Festlandes abgeschnitten. Die Insulaner wussten: Notfalls können wir ja noch fischen gehen.
Dieses Erlebnis war für mich neu. Ich kann Ihnen sagen: Vor dem leeren Regal im geöffneten Supermarkt zu stehen, ist wirklich ein blödes Gefühl. Mir wurde plötzlich nicht nur rational, sondern auch emotional klar, wie abhängig wir von den Supermärkten sind. Auf einer Atlantikinsel holt man zur Not die Fische aus dem Meer, wenn man weiß, wie das geht, und die krisengestählten, ländlich geprägten Einwohner bleiben cool, aber was passiert zum Beispiel in Stuttgart, wenn das Transportwesen zusammenbricht? Wenn Benzin und Diesel aus irgendeinem Grund ausgehen und die Lkw liegen bleiben?
Ja, es würde Hamsterkäufe geben. Wegen der effizienzoptimierten Just-in-time-Anlieferung existieren überhaupt keine Lagerkapazitäten mehr, die Supermärkte wären innerhalb von ein, zwei Tagen leer, und es käme kein Nachschub mehr. Auf der Île d’Yeu ging es um 5000 Seelen plus ein paar Touristen. Aber mitten in der Großstadt hätten plötzlich Hunderttausende von Menschen innerhalb von einem Tag nichts mehr zu essen, kämen nicht mehr zur Arbeit.
Würden die Menschen ruhig bleiben? Nie und nimmer! Es geht ja plötzlich ums Überleben … Stellen Sie sich einen Familienvater vor, der sich im Supermarkt vor dem fast leeren Regal um die letzten Dosensuppen mit anderen Familienvätern prügelt, weil zu Hause die dreijährige Tochter vor Hunger weint. Mitten in der Stadt kann man ja nicht einmal in den
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