Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
Gemüsegarten gehen und abschneiden, was gerade genießbar ist. Und wenn es um die existenziellen Grundbedürfnisse Essen und Trinken geht, dann fällt der dünne Lack der Zivilisation schnell von uns ab, es herrscht das Faustrecht, denn es geht um die nackte Existenz.
Bis hierher
Wir sind mitten in Mitteleuropa nur einen Wimpernschlag von bürgerkriegsähnlichen Zuständen entfernt, von Hunger und Not, von Mord und Totschlag, von einem Zusammenbrechen unserer gesamten Infrastruktur. Ich schätze: keine drei Tage. Das Eis, auf dem wir stehen, ist extrem dünn, es ist so dünn wie noch nie, denn noch nie in der Geschichte waren so große Teile der Bevölkerung so weit entfernt von der Fähigkeit zur Selbstversorgung und so abhängig von der erdölsüchtigen Versorgungslogistik und von ein paar wenigen großen Lebensmittelhändlern. Wir sind Logistik-Junkies geworden. Jemand muss uns den Stoff liefern. Jeden Tag. Und wenn nicht …
Halten Sie dieses Szenario für Schwarzmalerei? Ich mittlerweile nicht mehr.
Denn unsere ganze Gesellschaft basiert in vielen Bereichen immer mehr auf mega-effizienten Großeinheiten, sowohl im Handel als auch in der Produktion. Aktienmärkte sind hoch instabil, und man kann sich auf sie nicht verlassen. Das haben wir schon gelernt. Die Versorgungsstrukturen sind aber ebenfalls instabil: Sie sind vollständig auf billige Logistik aufgebaut und damit von billigem Erdöl abhängig. Es gibt weit und breit kein Konzept, Lkw mit regenerativen Energien zu betreiben, das annähernd spruchreif wäre. Aber ohne Lkw geht gar nichts mehr.
Der Handel ist im Einkauf zentralisiert und hat praktisch keine Verbindung mehr mit der regionalen Landwirtschaft, wo es denn überhaupt noch eine gibt. Alle Wege werden immer noch weiter, die Umschlagsgeschwindigkeiten werden immer noch höher, die Vorräte immer noch kleiner. Das ist Fakt.
Nehmen wir nur als Beispiel einen Terroranschlag in Rotterdam oder auch nur eine einfache, drastische Ölpreiserhöhung. Die Ver- und Entsorgung in unseren Großstädten wäre innerhalb weniger Tage unmöglich. Die riesigen Fleischwerke stünden still, keine Schweinehälften mehr rein, keine Fleischpackungen mehr raus. Selbst wenn ein paar Kilometer entfernt noch irgendwo Kühe stünden, die Milch käme nicht mehr bis zum Konsumenten. Die Backmischungen würden nicht mehr geliefert werden – das, was wir als Bäckereien bezeichnen, was aber in Wahrheit nur Verkaufsstellen der Großbäckereien sind, könnte nichts mehr aufbacken und verkaufen.
Brot ist eigentlich primitiv: Getreide, Hefe, Wasser und Gewürze. Aber wir haben uns in den letzten Jahrzehnten eine Infrastruktur geschaffen, die völlig verrückt ist: Selbst wenn wir in so einem Ölkollaps-Szenario alle Zutaten vor Ort hätten, weil ein Bauer noch ein Pferdefuhrwerk hätte, um Getreide zu liefern: Wir könnten kein Brot mehr backen. Wir haben vor Ort keine Getreidemühle mehr, keine Bäcker mit Know-how, keine entsprechenden Öfen. Das ist alles zentralisiert in riesigen Einheiten, Hunderte von Kilometern entfernt. Richtig: Manche Ökos haben eine Getreidemühle, die wären dann sehr gefragt …
Ich glaube, wir werden das leider noch erleben. Eines Tages wird es in Europa ein Problem mit dem Öl geben. Entweder aufgrund eines Krieges oder weil eine Börsenspekulationsblase platzt oder weil irgendein gewissenloser Despot den Ölhahn zumacht. Wir werden noch erleben, wie sich in einer zentralisierten, effizienzoptimierten Wirtschaft echter Ölmangel anfühlt, wie es ist, wenn die Logistik ausfällt, wenn es nichts mehr zu essen gibt, wenn die Mitarbeiter nicht mehr zu ihren Arbeitsplätzen gelangen, wenn der Müll nicht mehr abgeholt werden kann, wenn die Hühner in den Legebatterien krepieren, weil sie nichts mehr zu fressen haben, wenn das, was man zum täglichen Bedarf braucht, im Umkreis eines Tagesmarschs nicht mehr zu bekommen ist, wenn die Polizei die Beamten nicht mehr zusammenkarren kann, um den wütenden Mob auseinanderzutreiben.
Konzentration, Gigantismus und Renditegier sind lebensgefährlich.
Teil II
Sechs Grundsätze für eine nachhaltige Wirtschaft
»Die kurze Lebenszeit, das beschleunigte Kommen und Gehen der Gegenstände, mit denen wir täglich umgehen, ihre Verwandlung von Gebrauchs- in Verbrauchsgüter kann man ja unter verschiedenen Gesichtspunkten schlimm finden … Sie verhindert …, dass wir zu den uns alltäglich umgebenden Dingen noch eine ›freundschaftliche‹ Beziehung entwickeln,
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