Ausgekocht: Ein Mira-Valensky-Krimi
Chronikredakteur vom »Magazin« ziehe ich zur Seite. Felix heißt er, fällt mir gerade noch rechtzeitig ein, er arbeitet erst seit ein paar Monaten bei uns. »Ich rufe den Chefredakteur an. Du lieferst die Bilder ab, über alles Weitere reden wir morgen in der Redaktion. In Ordnung?«
Er nickt. Mal sehen, ob er wirklich so kooperativ ist.
Der Hinweis auf den Redaktionsschluss hat offensichtlich gewirkt. Niemand bleibt zum Essen. Ich versuche mir alle Gesichter einzuprägen. Nur für den Fall, dass sich in den nächsten Tagen doch einige von ihnen unter die Gäste mischen wollen.
Billy arbeitet in der Küche wie besessen. Mahmet und der Lehrling sind auch bereits da.
»Alles okay?«, frage ich sie.
Sie sieht mich an, als ob ich verrückt geworden wäre. Ich verstehe sie. Nichts ist in Ordnung.
Das Telefonat mit meinem Chefredakteur ist mühsam, das Ergebnis unbefriedigend. Ich solle gleich morgen Früh, jedenfalls aber vor zehn, zu ihm kommen, dann werde er entscheiden. »Disponieren«, hat er exakt gesagt. Hauptsache, Worte klingen wichtig.
Beinahe gespenstisch, wie normal der weitere Abend verläuft. Noch hat keiner der Gäste mitbekommen, dass Bachmayer mit Billys Messer ermordet worden ist. So gesehen ist es ein Glück, dass das Lokal noch immer mit Manninger in Verbindung gebracht wird und die wenigsten der Gäste Billys Namen kennen. Spätestens ab morgen Früh wird das anders sein. Ich gebe in der Küche mein Bestes. Da das Lokal heute nur halb voll ist, tue ich mich leichter als an den letzten Tagen. Zeit, Onkel Franz und die anderen zu informieren, bleibt trotzdem nicht. Billy arbeitet konzentriert wie immer. Mit einem Unterschied: Heute schimpft sie nicht, sie treibt nicht an, lobt nicht, lacht nicht, singt nicht. Sie wirkt wie eine präzis arbeitende Maschine.
Sie bricht auch nicht zusammen, als das Abendgeschäft vorbei ist. Sie atmet tief durch, versammelt ihre Belegschaft um sich und erzählt, was geschehen ist. Danach macht sie eine kurze Pause. »Wenn einer von euch nicht mehr hier arbeiten möchte, ich lege ihm nichts in den Weg.«
Mahmet schaut zu Boden, der Lehrling tut wieder einmal so, als ginge ihn das alles überhaupt nichts an, Hans-Peter schüttelt den Kopf, die Praktikantin poliert weiter Gläser, die Abwäscherin hustet verlegen. Onkel Franz reagiert erwartungsgemäß empört. »Ich werde herausfinden, wer Sie vernichten will, ich werde ihn …« Er hebt drohend die sehnigen Arme und zittert etwas dabei. Wahrscheinlich sollte ich mir um seinen Gesundheitszustand mehr Sorgen machen als um den von Billy.
Sie nickt kurz, sagt danke und geht zurück in die Küche.
Als ich einige Minuten später nachkomme, finde ich sie nicht. Im Hinterzimmer höre ich halblaute Stimmen. Angespannt schleiche ich näher. Durch den Türspalt sehe ich, wie im Finstern eine Zigarette aufglimmt. Aber es sind bloß Hans-Peter und der Lehrling, die über die Ereignisse reden. Warum haben sie kein Licht gemacht? Aber braucht es für alles eine Erklärung?
»Da ist einer durchgeknallt, aber der Peppi war das sicher nicht.«
»Aber sie auch nicht.«
Die beiden verstummen, als sie mich entdecken.
Ich finde sie schließlich im Auto hinter dem Wirtshaus, dort, wo wegen des lärmempfindlichen Nachbarn nur sie parken darf. Sie sitzt hinter dem Steuer, den Kopf an die Nackenstütze gelehnt. Panisch renne ich hin. Ist sie die Nächste, die …?
Billy bemerkt mich nicht. Tränen strömen ihr über das Gesicht. Sie gibt keinen Ton von sich.
Als sie mich endlich wahrnimmt, zuckt sie zusammen, versucht ihr Gesicht zu verbergen, kramt nach einem Taschentuch.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ist es taktvoller, zu gehen? Ist es besser, zu bleiben?
»Ich hab Zwiebel geschnitten«, schluchzt sie.
Ich nicke. Niemand soll sie schwach sehen. Sonst könnte sie tatsächlich zusammenbrechen. »Verdammte Zwiebeln«, sage ich und sehe, dass sie sogar ein bisschen lächelt. »Ich bin in der Küche, wenn du mich brauchst.«
»Die anderen sollen zusammenräumen«, versucht sie zu befehlen, »du nimmst dir ein Glas Wein und setzt dich an einen Tisch. Ich komme gleich.«
Ich nicke folgsam und gehe in die Küche, um beim allabendlichen Saubermachen zu helfen.
»Es ist jemand für Sie da«, sagt Onkel Franz und zieht ein Gesicht, als ob es sich bei dem Besuch um eine zwielichtige Erscheinung handeln würde. Für einen Moment denke ich an Oskar, aber der ist in Frankfurt. Und alles andere als zwielichtig, eher schon ein
Weitere Kostenlose Bücher