Ausgekocht: Ein Mira-Valensky-Krimi
Zeigefingerkäppchen ist seltsam abgeflacht, und die Haut ist an dieser Stelle deutlich heller als am Rest der Hand. Nun muss ich mit meiner Narbe, die mir ein langer, rostiger Nagel gerissen hat, auftrumpfen. Der Lehrling kontert mit seinem Knie, in dem einige erbsengroße Fremdkörper zu stecken scheinen.
»Auch hier in der Küche?«, frage ich beeindruckt. Meine Wunde tut schon viel weniger weh. Oder ist das doch die betäubende Wirkung vom Schnaps?
»Nein, beim Mopedfahren«, gibt er zu, »da sind ein paar Kiesel drinnen geblieben.«
Irgendwie ist es, als wäre ich in einen Klub aufgenommen worden.
Jetzt endlich gehe ich in den Schankraum und sehe mich um. Vesna deutet auf den Tisch 1. Ich linse vorsichtig hinüber. Da sitzt ausgerechnet einer der Kollegen vom »Blatt«, und Billy neben ihm. Sie scheinen sich allerdings ganz friedlich zu unterhalten. Hoffentlich kann sie abschätzen, was sie ihm sagen soll und was nicht. Der Mann ist eine Dreckschleuder, das weiß ich.
Die andere Journalistenpartie ist schon abgefahren, erzählt Vesna. Ansonsten sei der Mord an Bachmayer mit Billys Messer natürlich das Gesprächsthema des Abends gewesen. Auch die paar einheimischen Männer, die sich meist nur am Wochenende rund um den Stehtisch bei der Theke versammeln, haben schon alles und noch etwas mehr gewusst. Gerüchte entstehen schnell. Vesna verspricht, mir später Details zu erzählen. Ich sehe auf die Uhr. Viel Zeit habe ich nicht mehr. Spätestens um Mitternacht will ich zurück im Rosa Flieder sein. Zerschnittener Finger hin oder her. Gut möglich, dass ich dort auf dieselben Reporter treffe wie hier.
Ich nehme mir noch einen Schnaps. Jetzt bemerkt auch Vesna meinen Verband. Ihre Besorgnis wische ich weg, so, als wäre ich vor einer Viertelstunde nicht beinahe umgekippt, als ich das viele Blut gesehen hab. »Das passiert in der Küche immer wieder.« Hoffentlich ist es wirklich nichts Ernsteres. Der Verband fühlt sich aufgeweicht an. Ob ich noch immer blute?
Ich kippe den zweiten Schnaps und zwinge mich dann zu überlegen, worin mein Wissensvorsprung besteht. Billys hilfsbereite Freundin zu sein reicht nicht aus. Ich muss eine Reportage liefern. Und die sollte besser sein als jene der Konkurrenzblätter. Viel fällt mir nicht ein, was ich exklusiv habe. Gut, ich kann die Stimmung besser schildern, das Flair, die Hintergründe, auch den Melonenangriff. Aber wenn es um die harten Fakten geht, so muss ich zugeben, dass ich nichts habe, was die anderen nicht auch hätten. Ich bin mir sicher, dass Rosa Flieder mit allen so geredet hat wie mit mir. Manninger. Billy muss mir einen Draht zu Manninger in New York herstellen. Vielleicht hat daran noch niemand gedacht. Bilder von ihm gibt es im Archiv des »Magazins« sicher genug.
Als ich Billy darum bitte, sieht sie mich entsetzt an.
Ich denke, sie hat den Verband auf meinem Finger gesehen, aber dann wird mir klar: Sie hat einfach vergessen, Manninger von den Vorfällen zu berichten. Noch ist es sein Lokal, sie zahlt Pacht mit der Option, es in drei Jahren kaufen und die bisherigen Pachtkosten in den Kaufpreis einrechnen zu können.
»Gibt es zwischen dem Manninger und dir mehr als ein Pachtverhältnis?«, möchte ich wissen.
Billy schüttelt den Kopf, lächelt dann etwas schmallippig: »Du bist wirklich gut im Recherchieren. Die Sache zwischen uns ist Jahre vorbei, woher weißt du …?« Sie sieht auf meinen Finger: »Hast du dich verletzt?«
Keine Ausflüchte jetzt. »Ist schon in Ordnung. Rosa Flieder. Aber ihr scheint euch noch gut zu vertragen, Manninger und du.«
»Das musst du anschauen lassen und neu verbinden. Ein Schnitt? Wie tief? Vielleicht sollte man ihn nähen lassen, bevor wildes Fleisch entsteht.«
Von »komischem Fleisch« hab ich schon gehört, aber das ist eine vergangene Geschichte, die in einem Supermarkt gespielt hat. Von »wildem Fleisch« aber … Hört sich beunruhigend an. Trotzdem will ich nicht, dass sie an meinem Verband herumfummelt. Das Ganze tut weh genug. So tapfer, wie ich tue, bin ich ja doch nicht.
»Also was ist mit dem Manninger? Wie gut vertragt ihr euch?«
Billy blickt von meinem Daumen auf. »In gewisser Weise wirklich gut. Er wollte sich mit mir immer gut verstehen, ich meine – auch nach unserer Affäre. Er schätzt mich auch als Köchin, nur ich hab mich mit dem ›Wir-können-ja-gute-Freunde-bleiben‹ eine Zeit lang schwer getan. Er war es, der unser Verhältnis beendet hat. Besser gesagt: Ich bin dahinter
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