Ausgekocht: Ein Mira-Valensky-Krimi
nicht so, als ob sie schon müde wären. Allerdings könnte es sein, dass sie sich auch ohne mich gut unterhalten. Spüre ich etwa Eifersucht? Bevor ich mich lächerlich machen kann, stehe ich auf und verabschiede mich.
9.
Eigentlich sollte ich mir Gedanken über die nächste Reportage machen. Bis heute Abend muss sie fertig sein. Ohne griffige Neuigkeiten bekomme ich bloß eine halbe Seite für die Fortsetzungsstory über den Fall Bachmayer. Meine Kollegen tippen einheitlich auf einen Mord im Schwulenmilieu. Warum kompliziert, wenn es einfach auch geht? Aber ich kann nicht so recht daran glauben.
Ein kurzes Gespräch mit Bachmayers letztem Lover hat mich darin bestärkt. Klar hatte der »Fine-Food«-Herausgeber Feinde, aber die seien in der Gastronomieszene zu finden, nicht bei den Schwulen, hat er mir in einem Kaffeehaus erzählt. Noch dazu, wo Bachmayer sorgsam darauf bedacht gewesen sei, ja nicht zu viel Kontakt mit der schwulen Community zu haben. Vielleicht lässt sich gerade daraus etwas ableiten? Etwa angestauter Ärger, dass er seine Mitbrüder verleugnet hat? Bachmayers letzter Lover hat nur gelächelt und gemeint, das wäre in etwa so, als wenn der Familienverband jeden ermorden würde, der hetero ist, eine Familie hat und trotzdem mit diesem Verein nichts zu tun haben möchte. Natürlich gäbe es dort, wo Beziehungen sind, auch Konflikte. Es käme nicht von ungefähr, dass der überwiegende Teil der Gewaltverbrechen von nahen Angehörigen verübt werde, das sei bei den Schwulen nicht anders als bei den Heteros. Klar könne ich das schreiben. Aber sensationell ist das nicht gerade.
Ein kurzer Besuch in der Bar Rosa Flieder hat ergeben, dass es immer wieder zu spaßigen bis bösartigen Streichen in Restaurantküchen kommt. Einer der Köche konnte berichten, dass ein neuer Chefkoch an seinem Lieblingsmesser kleben geblieben ist. Aber wir haben schon in der Schule unseren Klassenvorstand mit Superkleber am Sessel befestigt. Ein anderer erzählte davon, dass man dem ewig hungrigen Kellner einen alten Putzlappen paniert und vorgesetzt hat. Frau Flieder wusste, dass ein Chef zwei durstigen Köchen Pisse in die Bierflaschen gefüllt hat. Daraus lässt sich eine kleine Extrastory in einem Kasten basteln. »Die bösen Streiche der Starköche« oder so.
Doch nichts davon scheint mit den Dingen in Zusammenhang zu stehen, die sich im Apfelbaum oder auch im Offen ereignet haben. Wobei: Nach wie vor erscheint es mir möglich, dass es sich bei den Vorgängen in Daniel Capriatis Lokal tatsächlich bloß um böse Streiche gehandelt hat. Bei Billy hingegen …
Dass Onkel Franz niedergeschlagen worden ist, haben meine Kollegen von den Medien zwar mit einem Tag Verspätung, dann aber doch mitbekommen. Ich habe noch nie erlebt, dass der Polizeiapparat dichthält. Zu sehr scheint man zu glauben, auf gegenseitige Freundschafts- und Informationsdienste angewiesen zu sein. Gut, ich habe als Einzige ein Interview mit Onkel Franz. Aber aus dem Blickwinkel einer Leserin betrachtet, ist es nicht besonders aufregend. Vielleicht bekomme ich deswegen an Stelle der halben eine ganze Seite Platz. Mehr nicht.
Billy habe ich klar zu machen versucht, dass sie nur mehr in Begleitung unterwegs sein soll. Sie darf nicht als Erste in der Früh kommen, sie darf nicht als Letzte allein gehen. Zum Glück ist ihr Sohn Hannes für zwei Wochen in ein Ferienlager gefahren.
Das kommende Kulinarium spukt mir zumindest ebenso im Kopf herum wie die Reportage. Warum arbeite ich in der Zeitungsbranche, wenn ich es nicht einmal schaffe, genug Werbung zu machen, damit das Lokal voll ist?
Was wir brauchen, ist keine sensationsgierige Meute, sondern siebzig Leute, die gerne gut essen. Die müssen aufzutreiben sein. Erst gestern allerdings hat wieder jemand eine Reservierung für sechs Personen storniert. Das kommt vor, ich weiß das, aber es ist in letzter Zeit zu häufig passiert, um ein Zufall zu sein. Vielleicht würden genug Gäste kommen, wenn man ihnen einen Liveanschlag verspräche? Nein, danke.
Auf Mitleid zu setzen oder auf Solidarität scheint mir ebenso falsch. Die Gäste sollen nicht kommen, weil man Billy übel mitspielt, sondern wegen der Küche, wegen des Lokals.
Aber es bleiben nur mehr drei Tage Zeit.
Ich hocke vor dem Computer und male Strichmännchen auf meine Schreibunterlage. Auch wenn sie mir nicht besonders sympathisch ist: Ich werde zu unserer Gastronomiekritikerin gehen und fragen, ob sie nicht eine Kleinigkeit über den
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