Ausgekocht: Ein Mira-Valensky-Krimi
meint, das sei heute ausnahmsweise kein Problem. Dasselbe, was Billy immer sagt, wenn wir kaum Reservierungen haben.
Ich steuere eine Nische an, er versucht mich an einem Zweiertisch in der Lokalmitte unterzubringen. Ich sehe ihn so traurig wie möglich an. »Ich möchte abseits sein. Bitte.«
Er nickt diskret, als hätte ich ihm eben meine ganze schreckliche Lebensgeschichte erzählt, und weist mir nun einen Nischenplatz zu. Auf seinem Hemd ist ein bräunlicher Fleck. Aber die Manieren: großartig.
Ich blättere in der Speisekarte. Freiwillig würde ich hier nicht essen. Internationaler Einheitsfraß der gehobenen Kategorie. Wenn ich schon Garnelen im Reisring sehe, kommt mir das Gähnen. Die Warterei und das gedämpfte Licht tragen das ihre dazu bei, dass mir meine Müdigkeit bewusst wird. Wie viele Stunden habe ich in den letzten zwei Tagen geschlafen? Besser, erst gar nicht nachzurechnen.
Vesna kommt. Sie trägt kleine Perlenohrringe und sieht in ihrem einfachen schwarzen T-Shirt schick aus. Wie elegant sie gehen kann, wenn sie will. Normalerweise bewegt sie sich elastisch und schnell, jetzt tut sie, als würde sie mit jedem Schritt ihren eigenen Körper genießen. Guter Auftritt. Sie sieht sich vorsichtig um, ich gebe ihr mit der Hand ein Zeichen. Sie nickt beinahe unmerklich und lässt sich einen Tisch in der Mitte des Raumes zuweisen.
Ich höre, wie sie dem Ober etwas auf Serbokroatisch zuflötet. Die Speisekarte legt sie gleich wieder weg. Ich sollte diese verdammte Sprache lernen, es macht mich krank, wenn ich nicht verstehe, was Vesna sagt.
Wir bekommen unser Essen beinahe gleichzeitig. Wir haben vereinbart, nur eine Hauptspeise zu wählen, damit es nicht zu spät wird und weil wir den Chefkoch sonst womöglich verpassen. Peppi hat nie besonders gerne zusammengeräumt. Wenn er jetzt jemanden hat, der diese Arbeit für ihn erledigt, dann ist er sicher bald dahin. Das ist zwar laut Billy schlecht, weil die Qualität leidet, aber Peppi nähme das wohl in Kauf. Wie hat er es geschafft, hier Chefkoch zu werden?
Gut, viel ist nicht los hier, schon möglich, dass das Lokal keinen besonderen Ruf hat. Natürlich hat er bei Manninger und bei Billy einiges gelernt. Aber dass das ausreicht …
Wider Erwarten ist die Seezunge perfekt gebraten. Nur auf der Hautseite, wie es sich gehört. Billy hat uns darauf gedrillt. Vielleicht ist das der erste Hinweis darauf, dass hier tatsächlich Josef Dvorak kocht. Die Sauce allerdings scheint fertig aus dem Tetra Pak zu kommen. Viel zu mehlig, der Wein ist schlecht eingebunden, das kann das Obers auch nicht kaschieren. Die Nudeln sind in der Konsistenz richtig, nur das Rohprodukt scheint noch eher aus realsozialistischer Zeit zu stammen.
Vesna isst lieber Fleisch als Fisch. Sie hat sich offenbar Kalbstournedos bestellt. Jedenfalls scheint mir das aus der Entfernung so. Hohe Fleischstücke, eine riesige Portion, die Nudeln dürften die gleichen sein wie meine. Eines ist klar: Das Lokal ist überteuert. Aber das kommt nicht nur in Prag vor.
Den wenigen anderen Gästen scheint es zu schmecken. Ich höre Russisch und Deutsch. Die sechs Männer am Nebentisch sind wohl zu einem der typischen Geschäftsessen zusammengekommen. Sie sehen aus, als gehörte Kauen zu ihrer Managementausbildung.
Vesna lässt sich Wein nachschenken. Zwei Mal erklärt sie dem Ober offenkundig, wie großartig es schmecke. Er schaut glücklich, wenn auch etwas ungläubig drein. Übertreibe es nicht, Vesna.
Es wird abserviert. Ich lasse mir die Dessertkarte bringen, gebe aber vor, noch etwas Zeit zu brauchen, bevor ich mich entscheide. Dabei habe ich noch einen mörderischen Hunger, anders als die Fleischportion war die Fischportion eher zierlich.
Vesna schmökert genießerisch in ihrer Karte, fragt den Ober dies und das, sieht ihm dann voll ins Gesicht. Jetzt bittet sie ihn, den Chefkoch zu holen. An ihr ist eine Stummfilmschauspielerin verloren gegangen. Der Ober verbeugt sich vor ihr eindeutig tiefer als vor mir und geht ab.
Nächstes Bild im selben Film: Der Chefkoch kommt. Zuerst kann ich ihn wegen des Grünzeugs zwischen mir und dem Rest des Lokals nicht deutlich sehen, als er aber an Vesnas Tisch tritt, ist klar: Hier steht der verschollene Peppi Dvorak. Mühsam halte ich mich zurück und renne nicht hin, um ihn zu fragen, was das alles soll.
Vesna deutet auf den Platz neben sich, der Koch setzt sich. Mit seiner sauberen weißen Uniform und der hohen Mütze sieht er weit eindrucksvoller aus
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