Ausgeliefert: Roman (German Edition)
den Raum gestoßen. Er war von sechs Wachen umgeben. Sie stießen ihn zu dem Tisch gegenüber dem von Fowler. Dem Tisch des Beklagten. Die Wachen standen hinter ihm und drückten ihn mit ihren Händen auf seinen beiden Schultern auf den Stuhl. Sein Gesicht war weiß vor Angst und mit Blut verkrustet. Seine Nase war gebrochen und seine Lippen geplatzt. Borken starrte zu ihm hinüber. Ließ sich schwer in den Richtersessel sinken und legte seine großen Hände mit den Handflächen nach unten auf die Bank. Sah sich in dem schweigenden Saal um und sprach.
»Wir alle wissen, weshalb wir hier sind«, sagte er.
Holly konnte spüren, dass sich in dem Raum unter ihr eine große Menschenmenge aufhielt. Sie konnte die leisen Geräusche einer größeren Anzahl von Leuten, die sich stillhielten, mehr spüren als hören. Aber sie hörte nicht auf zu arbeiten. Es gab keinen Anlass zu glauben, dass das Vorhaben ihres Kontaktmannes vom FBI scheitern würde, aber sie wollte trotzdem den Tag mit Vorbereitungen verbringen. Für alle Fälle.
Ihre Suche nach einem Werkzeug hatte sie zu dem geführt, das sie mitgebracht hatte. Ihre Krücke aus Metall. Sie bestand aus einem Aluminiumrohr von etwa zwei Zentimeter Durchmesser und hatte einen Handgriff und eine Ellbogenstütze. Das Rohr war zu dick und das Metall zu weich, als dass man es als Brechstange hätte einsetzen können. Aber wenn sie den Gummipuffer unten abnahm, wäre es vielleicht möglich, das offene Rohr so zu bearbeiten, dass es als eine Art Schraubenschlüssel
dienen konnte. Vielleicht konnte sie das Rohr um die Schrauben herum, die das Bett zusammenhielten, in die entsprechende Form drücken. Dann könnte sie das Rohr im rechten Winkel abknicken und es vielleicht wie eine Art Montiereisen benutzen.
Aber zuerst musste sie den dicken Lack von den Schrauben abkratzen. Er war glatt und verklebte die Schrauben förmlich mit dem Rahmen. Sie benutzte den Rand der Ellbogenstütze, um die oberen Schichten abzuschaben. Dann scharrte sie an den Nahtstellen, bis sie das blanke Metall sehen konnte. Jetzt hatte sie vor, mit einem in heißem Wasser getränkten Handtuch zwischen dem Badezimmer und der Bettstelle hin und her zu hinken. Sie würde das Handtuch gegen die Schrauben pressen, damit die von dem Wasser ausgehende Hitze das Metall ausdehnen und damit den restlichen Lack aufreißen konnte. Anschließend würde sich vielleicht das weiche Aluminium der Krücke als stark genug erweisen, um die von ihr geplante Aufgabe zu erfüllen.
»Fahrlässige Gefährdung des Einsatzes«, sagte Beau Borken.
Er sprach leise, mit hypnotischer Stimme. Im Raum herrschte Stille. Die Wachen vor der Richterbank blickten starr nach vorn. Die Wache am Ende starrte Reacher an. Es handelte sich um den jüngeren Mann mit dem gestutzten Bart und der Narbe auf der Stirn, den Reacher in der vergangenen Nacht als Wache bei Loder gesehen hatte. Er starrte Reacher neugierig an.
Borken hob das dünne, ledergebundene Buch und schwang es langsam von links nach rechts, als wäre es eine Art Scheinwerfer und als wollte er den ganzen Raum in sein helles Licht tauchen.
»Die Verfassung der Vereinigten Staaten«, sagte er. »Jämmerlich missbraucht und doch die bedeutendste politische Abhandlung, die Menschen je verfasst haben. Das Vorbild unserer eigenen Verfassung.«
Er blätterte in dem Buch. Das Rascheln von Papier hallte laut durch den schweigenden Saal. Dann begann er zu lesen.
»Die Bill of Rights«, sagte er. »Der fünfte Verfassungszusatz führt aus, dass keine Person für ein Kapitalverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden darf, ohne dass vor einer Anklagejury zuerst gegen diese Person Anklage erhoben worden ist, mit Ausnahme von Fällen, die sich in Zeiten öffentlicher Gefahr in einer Miliz ergeben. Der Verfassungszusatz schreibt vor, dass keine Person ohne ordentlichen Spruch eines Gerichts ihres Lebens oder ihrer Freiheit beraubt werden darf. Der sechste Verfassungszusatz legt fest, dass der Angeklagte das Recht auf ein schnelles öffentliches Verfahren vor einem lokalen Geschworenenkollegium haben soll. Er besagt ferner, dass der Angeklagte Anspruch auf Beistand durch einen Berater hat.«
Borken hielt wieder inne. Sah sich im Saal um. Hielt das Buch in die Höhe.
»Dieses Buch sagt uns, was zu tun ist«, erklärte er. »Wir brauchen also Geschworene. Es heißt hier nicht, wie viele. Ich denke, drei Männer sollten reichen. Freiwillige?«
Zahlreiche Hände hoben sich. Borken deutete
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